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Multikulti genießt Schwarz-Rot-Gold

Heute im Gespräch: Michael Vesper, grüner Landtagsvize mit Fußballerherz

Bielefeld (WB). »Die Stimmung in den Stadien und in den Städten rundum ist einfach toll, leicht und fröhlich«, sagt Michael Vesper, grüner Landtags-Vizepräsident, im Interview mit Reinhard Brockmann Und: »Mich macht zufrieden, dass es eine Art Fußball-Patriotismus gibt, der nicht ins Nationalistische abfällt.« Landtagsvizepräsident und Fußballfan : Michael Vesper

Als vormaliger Sportminister haben Sie wesentlich zu den Vorbereitungen in NRW beigetragen. Heute müssen Sie sich die Karten selber kaufen. Vesper: Ich blicke nicht zurück, sondern nach vorn. Ich genieße diese Fußballweltmeisterschaft - ob in den Stadien, vor dem Fernseher oder an einem der vielen Public-Viewing-Punkte. Das ist keine politische Frage, sondern einfach eine des Fußballinteresses und ich bin da ein echter Fan. Ich genieße vielleicht noch etwas mehr, weil man als Regierender weniger Zeit hat, sich Spiele anzusehen. Im übrigen: Auch als Landtagsvize repräsentiere ich das Land bei einigen Spielen in NRW.

Ihr stärkster Eindruck bisher?Vesper: Ich war zum Beispiel bei Deutschland gegen Polen. In der ersten Halbzeit war das kein gutes Spiel, aber ich habe selten eines gesehen, in dem die Anzahl der Tore noch stärker in umgekehrtem Verhältnis zur Dramatik und Spannung stand.

Schon bildet sich die ganz große Koalition, die Deutschland als Weltmeister sieht...Vesper: Natürlich habe ich mich gefreut über das späte Tor in Dortmund. Da war eine junge, kämpferische Mannschaft mit glühendem Herzen bei der Sache, die den Sieg wirklich verdient hatte. Trotzdem warne ich vor zu großer Euphorie. Der Einzug ins Achtelfinale ist ein toller Erfolg. Selbst wenn Deutschland vor dem Finale ausscheiden sollte, wäre es eine erfolgreiche Fußball-WM.

Schwarz-Rot-Gold, wohin man schaut. Früher wäre den Grünen bei soviel nationaler Begeisterung doch schwarz vor Augen geworden? Vesper: So etwas wäre 1974 in Deutschland nicht denkbar gewesen. Das ist auch Ausdruck dessen, dass das Land mit ein paar Lebenslügen Schluss gemacht hat. Zum einen haben wir die Wiedervereinigung vollzogen, zum anderen wissen und akzeptieren wir, dass wir ein Einwanderungsland sind. Wie könnte das deutlicher werden, als bei dem Tor in Dortmund? Neuville in der Schweiz geboren, Odonkor mit dunkler Hautfarbe: Das waren die Matchwinner und sie sind genauso umjubelt worden wie die anderen auch. Wir haben ein richtig buntes Team. Deutschland ist einen Schritt weiter gekommen in den letzten Jahrzehnten. Deswegen kann man das auch als Grüner richtig gut finden, solange es ein Patriotismus ist, der sich nicht gegen andere richtet und sich nicht über andere erhebt.

Segelt Multikulti damit - im besten Sinne - unter schwarz-rot-goldener Flagge?Vesper: Richtig. Wer hätte es noch vor einigen Jahren für möglich gehalten, dass Gerald Asamoah, Lukas Podolski, Oliver Neuville und David Odonkor ganz normaler Bestandteil dieser deutschen Mannschaft sind?

War die Warnung vor No-go-Areas übertrieben?Vesper: Nein. Die WM ist noch nicht vorbei. Man kann keinesfalls Entwarnung geben. Die öffentliche Diskussion hat auf das Problem aufmerksam gemacht. Viele Fans gehen jetzt bewusster mit dem Thema um und sind weniger gedankenlos. Dass das Bundesverfassungsgericht der NPD ausgerechnet in Gelsenkirchen eine Demonstration erlaubt hat, war ein Riesenproblem. Man muss wachsam bleiben und darf nicht angesichts der positiven Stimmung im Land die Hände in den Schoß legen.

Wenn farbige Spieler den Ball treten, haben Zuschauer auch in früheren Jahren immer wieder den Affen gemacht.Vesper: Ja, man hat das zu lange hingenommen und als Auswüchse abgetan. Erst seit dem Bosman-Urteil, nachdem mehr als drei nichtdeutsche Spieler in einer Mannschaft dabei sein dürfen, hat man sich diesem Thema gestellt. Ich selbst habe eine Ausstellung zum Rassismus in Stadien unterstützt. Auch der DFB schweigt dieses Thema dank Theo Zwanziger nicht mehr tot.

Wer wird Weltmeister? Vesper: In drei Wochen wissen wir mehr. Italien ist mein Favorit.

Artikel vom 17.06.2006