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»Russland steht uns näher als China«

Franz-Kleine-Chef Andreas Friesen: Kenntnis der Sprache und Mentalität nicht zu ersetzen

Von Bernhard Hertlein
Salzkotten (WB). Drei Dinge machen deutsche Unternehmen in Russland stark: Die gute Qualität der Produkte, Zuverlässigkeit bei Lieferung und Service -Êund die Vermittlung durch Aussiedler. »Kenntnis der russischen Sprache und Mentalität sind nicht zu ersetzen«, sagt Andreas Friesen, Geschäftsführer des Landmaschinen-Herstellers Franz Kleine in Salzkotten.

Friesen, selbst im südrussischen Orenburg geboren und aufgewachsen, erlebte mit der auf Zuckerrüben-Technik spezialisierten Franz Kleine GmbH eine sehr wechselvolle Zeit. Die ersten noch von Schleppern gezogenen Maschinen sind vor genau 20 Jahren noch ohne sein Zutun von Salzkotten in die damals noch existierende Sowjetunion geliefert worden. Es waren immer drei Maschinen: eine, die das Grünzeug abschnitt, eine, die die Rüben aus der Erde holte, und eine dritte, die sie auf den Wagen auflud.
Seit 1992 wird diese Arbeit von einem einzigen, selbst fahrenden Gerät erledigt: Das spart Arbeitszeit und verringert den Bodendruck. Die Nachfrage nach der neuen Technik war von Beginn an riesig. Entsprechend groß war allerdings auch der Ausfall, als im August 1998 der russische Rubel in den Keller fiel und die Kunden plötzlich nicht mehr zahlungsfähig waren. Fast vier Jahre schleppte man sich in Salzkotten durch die Krise. Dann musste Franz Kleine im April 2002 doch noch Insolvenz anmelden. Zahlungssicherheit ist heute kein Problem mehr. »Geliefert wird nur nach Vorkasse«, sagt Friesen. Dafür brauche es in Russland nach den Ereignissen von 1998 keine Begründung.
Dass es mit Franz Kleine überhaupt weiter ging, liegt ebenfalls an Russland. Zwei russische Unternehmer wollten unbedingt die Technik made in Salzkotten für ihre Heimat sichern. Partner fanden sie in zwei britischen Finanzinvestoren.
Inzwischen erreicht die Mitarbeiterzahl mit 177 fast schon wieder das Niveau von 200 vor der Insolvenz. Der Umsatz, 2005 bei knapp 31 Millionen Euro, soll in diesem Jahr die 32 Millionen überschreiten. Die Hälfte davon erwirtschaftet Franz Kleine in Russland, wo in Saransk, 600 Kilometer östlich von Moskau, inzwischen 49 der 177 Mitarbeiter mit Endmontage, Vertrieb und Service beschäftigt sind.
Diese Aufteilung sei optimal, sagt Friesen. 130 Jahre Erfahrung im Landmaschinenbau könne nicht einfach komplett verpflanzt werden. Auf der anderen Seite wünschten die bäuerlichen Betriebe vor Ort Ansprechpartner und Erklärungen in ihrer Sprache sowie schnelle Ersatzteil-Lieferungen. Dazu komme die Verteuerung durch hohe Transportkosten und einen 30-prozentigen Aufschlag beim Zoll für Lieferungen aus Deutschland. Deshalb produzierten MAN, Bosch und viele andere Zulieferer ebenfalls schon vor Ort. Ein Teil der von Franz Kleine in Saransk fertigmontierten Landmaschinen wird weiter nach Weißrussland, die Ukraïne und demnächst wohl auch nach Kasachstan exportiert.
Ohne Russland wäre die 1874 erstmals gegründete Firma Franz Kleine heute vermutlich Geschichte. Die Diskussion um die EU-Zuckermarktordnung verunsichert die westeuropäischen Rübenbauer seit Jahren derart, dass sie kaum noch investieren. In Russland lasse sich dagegen mit einer besser organisierten und automatisierten Landwirtschaft durchaus so viel Geld verdienen, dass sich die Anschaffung eines »SF 10/2« lohne. Die zehn Tonnen schwere, selbst fahrende Rüben-Erntemaschine kostet immerhin zwischen 260 000 und 300 000 Euro.
Wichtig für den Zusammenhalt im Unternehmen ist, dass sich nicht nur die Geschäftsführer Friesen (Personal, Verwaltung), Klaus Milsmann (Vertrieb, Technik) und Anatoli Garchin (Saransk) häufig treffen. Auch unter Technikern und Vertriebsleuten herrscht ein reger Austausch. Zudem findet jährlich ein großes Firmentreffen entweder in Salzkotten oder in Saransk statt.
Vor der Russland-Begegnungswoche, die die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostwestfalen am kommenden Montag in Bielefeld eröffnet, sieht Friesen zwischen Deutschen und Russen wenig Probleme. Die wechselvolle gemeinsame Geschichte biete positive Ansätze. Mit der »Mafia«, von Westlern als Investitionshindernis ins Feld geführt, habe er noch keinen Kontakt gehabt. Wenn es Probleme gebe, dann mit der Bürokratie und einer immer noch verbreiteten Korruption. »Dafür muss man in Russland - anders als in China -Ênicht um seine Patente fürchten«, meint Friesen.
Zur Eröffnung der Russland-Woche kommt unter anderem der deutsche Botschafter in Moskau, Dr. Walter Schmid, nach Bielefeld. Friesen wird am Dienstag nachmittag in der IHK über das Engagement von Franz Kleine in Russland berichten.
www.ostwestfalen-meets.com

Artikel vom 17.06.2006