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Radikaler Trick:
Metze mimt
den Metzelder

Ausgehen ohne aufzufallen

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). Nach der Familienfreizeit lud Jürgen Klinsmann zum Männerabend ein. Im Garten stand ein Grill, im Fernsehen lief Italien gegen die USA - wenn es sich nicht um die Nationalspieler und ihren Trainer gehandelt hätte, wäre es wohl der Prototyp eines typischen, tausendfachen WM-Samstags in Deutschland gewesen.

Hier käme es auf den einen oder anderen Kumpel mehr, der an der Tür klingelt, nicht an. Zum Grillgelände des Schlosshotels im Grunewald dagegen hatten Gäste keinen Zugang: geschlossene Veranstaltung. Das Quartier bleibt die Trutzburg, einen Tag der offenen Tür wird es nicht geben. Kontakt mit der Außenwelt haben die Insassen nur, wenn sie alle paar Tage zum Fußballspielen in der WM-Arena Einzug halten.
Am freien Tag wagte sich Torhüter Jens Lehmann mit seiner Familie auf den Ku'damm, Christoph Metzelder wurde in einem Biergarten gesichtet. Es ist aber schwer auszugehen, ohne aufzufallen und einen Auflauf herbeizuführen. Von der Fanmeile in Berlin sahen die deutschen Fußballprofis als Besucher noch nichts. Wie das auch wohl wäre: Michael Ballack schlendert mal gerade zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor umher. Basketballkappen, tief ins Gesicht gezogen, lautet der am meisten gehörte Vorschlag, wie sich die Profi-Prominenz unkenntlich machen könnte. Auch angeklebte Bärte kämen dafür in Betracht. Oder eine schmucke Perücke. Erlaubt ist, was gefällt. Beim Maskenball der Ball-Stars wären den Ideen keine Grenzen gesetzt, das könnte wirklich lustig sein.
Doch vielleicht ist auch Metzelders Einfall richtig, der seine Arbeitskluft aus dem Schrank holen würde. Metzelder verkleidet sich als Metzelder und geht als sein eigener Doppelgänger. Das ist radikal, klingt aber gar nicht so abwegig: »Ich würde mein eigenes Trikot anziehen, das ist so übertrieben, da kommt keiner drauf.« Zu einem Praxistest neigt der Dortmunder allerdings nicht. Er trägt die Nummer 21, nur für den Fall. Sein Hannoveraner Mitverteidiger Per Mertesacker verzichtet auch lieber auf einen Abstecher ins Fan-Areal: »Das müsste man eigentlich machen. Aber ich kann es mir für mich nicht vorstellen.«
So begnügen sie sich damit, aus dem Busfenster zu blicken, wenn sie zum Training fahren oder zum Flughafen, und stimmungsvolle Fernsehbilder liefern ihnen von dem, was gerade abgeht im Land, wenigstens eine Vorstellung aus zweiter Hand.
Nur das Stadionerlebnis haben die Spieler aus erster Hand, da sind sie mittendrin statt nur dabei. In Dortmund war Metzelder von der Intensität der Ereignisse so ergriffen, dass er vergaß, sein Trikot zu tauschen. »Das ist immer ein schönes Symbol. Man hat sich bekämpft, oft am Rande des Legalen, und dann gibt man seinem Gegenspieler die Hand, tauscht das Trikot und wünscht ihm Glück. Ich stand nur da und war mit mir selbst beschäftigt«, schildert der Borusse die ersten Sekunden nach der in letzter Minute gewonnenen Partie gegen Polen.
Morgen nun stellt sich die Mannschaft erstmals bei diesem Turnier in der Hauptstadt vor. Da wohnt sie, da hält sie ihre Grillabende ab, da darf sie nun endlich auch Fußball spielen. »Die WM-Stimmung zentriert sich in Berlin«, sagt Metzelder. Es wird damit gerechnet, dass Zehntausende die Straßen zum Olympiastadion säumen. Der weinrote »Grunewald-Express« mit den Deutschen an Bord rauscht rund zwei Stunden vor dem Anpfiff an ihnen vorbei, eskortiert und abgeschirmt vom Aufpassdienst. Freie Fahrt genießt die DFB-Auswahl zumindest bis ins Achtelfinale, dann wird bei Deutschlands WM-Party ein neuer Siedepunkt erreicht.

Artikel vom 19.06.2006