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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Das biblische Buch der Richter blickt, grob umrissen, zurück auf die Zeit zwischen 1200 und 1000 vor Christus. Die Israeliten waren damals zwar schon in das Land Kanaan eingedrungen, hatten jedoch nicht sogleich eine eigene Staatsform entwickelt, sondern waren lediglich in einem noch lockeren Stämmeverband miteinander verbunden. Ihre neue Heimat war indessen kein Vakuum gewesen, sondern bereits von Ureinwohnern besiedelt, freilich nicht so dicht, dass nicht auch Einwanderer darin Platz gefunden hätten. Trotzdem kam es immer wieder zu bewaffneten Konflikten, welche die Neuankömmlinge vor ernste Probleme stellten. Denn ihre Gegner waren ihnen organisatorisch und militärisch meistens überlegen. Mit ihren eisernen Kriegswagen verfügten sie über die bessere Waffentechnik und ließen sich, zumal in ihren Stadtstaaten, auch viel schneller zu schlagkräftigen Truppen zusammenziehen als die Israeliten, die erst mühsam zusammengetrommelt werden mussten.
Die Bibel allerdings geht davon aus, dass Jahwe, so der Gottesname in Israel, seinem erwählten Volk das verheißene Land zugedacht hatte und in der Lage war, diesen Plan auch ins Werk zu setzen. Dabei spielten in jener Zeit die so genannten „großen Richter“, eigentlich charismatische Heerführer, eine entscheidende Rolle. Einige von ihnen - wie Gideon, Jephta oder der auch als Samson bekannte Simson - haben später sogar Schriftsteller und Komponisten zu eigenen Werken inspiriert.
Das Buch der Richter entspricht wohl kaum dem Geschmack friedensbewegter Zeitgenossen; denn in ihm geht es hoch her, und es fließt auch reichlich Blut. Doch erkennt dieses Buch in all dem Gewirr und dem Hin und Her von Siegen und Niederlagen ein geheimes Schema, das sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Richterzeit zieht und gerade auch Menschen der Gegenwart zu denken geben kann: Eine Zeitlang folgt Israel dem Richter, durch den Gott ihm Rettung gebracht hat. Dann fällt es wieder vom Glauben ab und verschreibt sich heidnischen Gottheiten, mithin anderen Prioritäten. Diese freilich vermögen nur vorübergehend zu blenden. Auf die Dauer aber führen sie nur zu einer erneuten Erschlaffung, welche die Widersacher obsiegen lässt. Erst solche Katastrophen lassen es zur Umbesinnung kommen, die sich in Hilfeschreien zu dem wahren Gott äußert. Der indessen stellt sich dann, anders als man vermuten könnte, nicht taub. Er erbarmt sich der Seinen und wendet durch die Sendung eines weiteren Richters deren Geschick - bis das alte Spiel von Unglaube und Unheil von neuem beginnt. In diesem Schema liegt wohl eine zeitübergreifende Wahrheit verborgen, und es wäre es die Frage, in welcher dieser Phasen wir uns befinden könnten. Obwohl die Richter die Helden des nach ihnen genannten Buches sind, werden sie selbst allerdings sehr kritisch gesehen. Das ist typisch für das Alte Testament, welches nun einmal - darin wegweisend - keinerlei Personenkult duldet. Es zeigt seine Protagonisten eben gerade auch in ihren Gefährdungen und Versuchungen, die mit herausgehobenen Positionen nun einmal verbunden sind. Gideon etwa lässt sich auf dem Höhepunkt seiner Macht selbst zur Abgötterei - modern ausgedrückt: zu Machtmissbrauch, zu eigener Begünstigung usw. - verleiten. Sein Sohn Abimelech gar möchte die Gunst der Stunde nutzen, um das »Führerprinzip« - »Was ist euch besser ..., (als) dass ein Mann über euch Herrscher sei« (Ri. 9, 2)? - in Kraft zu setzen und sich selbst zum König ausrufen zu lassen.
Darauf reagiert sein jüngster Bruder Jotam mit einer sarkastischen Fabel (Ri. 9): Die Bäume wollen einen der Ihren zum König salben. Ölbaum, Feigenstrauch und Weinstock aber lehnen das Angebot ab. Sie wollen ihren Nutzen auch weiterhin für alle erbringen und nicht wie Schmarotzer »über den Bäumen schweben«. Der nichtsnutzige Dornbusch aber wittert die Gunst der Stunde und greift begierig zu, und seine Aufforderung, in seinen Schatten einzutreten, ist von verächtlicher Arroganz.

Artikel vom 17.06.2006