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Zu Fronleichnam

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


Fronleichnam ist ein kirchliches Fest, das mit sehr eigenen Gefühlen verbunden ist. Zu diesen Gefühlen gehören auch zwiespältige.
Da ist zunächst die Freude der Gläubigen, in ihren Städten und Dörfern die Straßen in Orte des Gottesdienstes verwandeln zu können. Große und lange Schlangen von betenden und singenden Menschen bewegen sich auf den selben Wegen, an denen sonst Waren ausgeliefert werden, Kinder und Jugendliche Tornister tragen, Kranke einen Arzt suchenÉ Gemeinsames Beten, das kraftvolle Lob Gottes macht einfach Freude, Prozessionen und Gottesdienste solcher Art sind ein Balsam für die Seele.
Aber es gibt auch andere Gefühle. Da sind nämlich diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die einfach nur frei haben. Für sie ist Fronleichnam ein arbeits- oder schulfreier Tag. Einen solchen Tag kann man zu Hause verbringen oder mit Aktivitäten verplanen. Das Gefühl ist meistens Entspannung, wenn sie sich nicht gerade wieder in anstrengende Freizeitaktivitäten stürzen. Das ist auf den ersten Blick für Menschen in Deutschland normal, es kommt öfter vor. Aber dieser Unterschied in der Wahrnehmung ist an Fronleichnam besonders extrem. Warum?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Fronleichnam ist ein kirchlicher Feiertag, der immer auf einen Donnerstag fällt. Fronleichnam fällt nie auf einen Samstag, nie auf einen Sonntag - es kann also nicht der Gedanke entstehen, es sei ja ohnehin Wochenende. Fronleichnam, zehn Tage nach Pfingsten gelegen, ist ein ausschließlich religiöser Tag.
Es gibt aber noch mehr Gründe: Denn hinzu kommt, dass besonders viele Menschen dieses Fest entweder nie richtig kennen gelernt haben oder nicht richtig verstehen. Sie können diesen Glaubensausdruck mit der Hostie, der Gegenwart Christi in der Gestalt des Brotes nicht richtig nachvollziehen.
Fronleichnam ist tatsächlich ein Fest auf der zweiten Ebene des Glaubens - man muss schon einige Glaubenserfahrung mitbringen, um all diese Zeichen richtig deuten und fruchtbar erleben zu können.
Und jetzt kommt hinzu: Ausgerechnet an diesem Tag beten die Gläubigen bei den großen Prozessionen mit all ihrer inneren Kraft für die Menschen in der Stadt und erbitten Gottes Segen. Für wen? Nur für sich? Nein, für alle! Zu diesen »allen« gehören aber eben auch viele, die dieses Fest einfach als Gelegenheit zur Entspannung nehmen. Und man zieht gewissermaßen aneinander vorbei. Denn die Prozession mit ihren vielen betenden und singenden Menschen, den Ministranten in ihren Gewändern, den vielen mitgeführten Zeichen der Verehrung Gottes kommt genau an den Stellen vorbei, wo andere - z. B. in Straßencafés - sitzen und nicht selten recht verständnislos dieses Treiben verfolgen, das ein wenig ihre morgendliche Brunch-Ruhe zu stören scheint.
Die Verschiedenheit der Gefühle wird deshalb besonders spürbar: Da beten die einen mit innerster Überzeugung für die Stadt, seine Menschen und das Wohlergehen aller - doch viele von denen, die durch Gott damit beschenkt werden sollten, nehmen dies als »exotisches Tun« oder sogar als »Störung« wahr. An bestimmten Blicken betend gesammelt vorbei zu gehen, kostet gerade junge Gläubige eine Menge Mut und Rückgrat.
Menschen sollen und dürfen verschiedene Wege gehen und verschiedene Überzeugungen haben. An einem Feiertag wie dem Fronleichnamsfest gibt es aber eine eindeutige Reihenfolge: Alle anderen haben nur frei, damit an diesem Tag in Ruhe gebetet werden kann. An solch einem ruhigen Morgen mitten in der Woche schweigen die Bagger auf den Straßen nur deshalb, damit diejenigen, denen es wichtig ist, Zeit für die Verehrung Gottes haben.
Christen wissen, dass - in der Tradition Jesu - Gebet oft stellvertretenden Charakter hat (Joh 17,20). Selten wird es so gefühlsmäßig spürbar, wie an Fronleichnam: »Nehmet und esset alle davonÉ« Dieses Mahl aller wird sich erst im Himmel vollenden - der Segen Gottes aber kommt sehr wohl schon jetzt Menschen zu Gute, die sich dessen gar nicht bewusst sind.

Artikel vom 15.06.2006