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Familien vor Gericht:
Justiz kapituliert

Vorwurf der Körperverletzung nicht zu klären

Löhne/Bad Oeynhausen (per). Manchmal kann auch die Justiz nicht klären, wer die Wahrheit und wer die Unwahrheit sagt. So war es Mittwoch, als Richter Niesten-Dietrich über einen Familienstreit entscheiden musste. »Trotz begründeter Zweifel« sprach er den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung frei.
Schon zum zweiten Mal verhandelte das Amtsgericht Bad Oeynhausen diesen Fall, da die Verteidigung am ersten Verhandlungstag beantragt hatte, zusätzliche Zeugen hören zu wollen. Mehr Klarheit brachte dies in den Fall jedoch nicht.
Was soll überhaupt passiert sein? Verantworten musste sich der 30-Jährige Frank H. (alle Namen geändert), der seinem Bruder Ulrich H. in der Nacht zu 24. April 2005 einen Faustschlag ins Gesicht versetzt haben soll. Nach Schilderung des Opfers habe sich sein jüngerer Bruder in auffälliger Weise seinem Wagen genähert, und als er ihn zur Rede stellen wollte, habe er zugeschlagen.
Seit Jahren herrscht in der Familie, die in drei Häusern in unmittelbarer Nachbarschaft leben ein regelrechter Kleinkrieg. »Das hat angefangen, als mir meine mittlerweile verstorbene Oma ihr Haus überschrieben hat. Seitdem hat dieser Terror bei uns eine lange Tradition«, schilderte Ulrich H. Inzwischen sollen auch Verfahren laufen, in denen die leer ausgegangenen Angehörigen ihren Pflichtteil geltend machen wollen.
Die Gegenseite, bestehend aus dem Angeklagten, dessen Mutter und seiner Lebensgefährtin, schilderten das Verhältnis vollkommen anders. Demnach spiele sich der ältere Bruder auf wie ein Tyrann, bezichtigte die anderen Familienmitglieder diverser Vergehen wie Einbruchdiebstahl und Körperverletzung. »Er ist nicht der Pazifist, als der er sich hier ausgibt«, sagte der Angeklagte bereits in der ersten Verhandlungsrunde.
Auch der Staatsanwalt rekapitulierte angesichts der verhärteten Fronten: »Die Aussagen lassen keine Linie erkennen. Keine Seite ist aussagewürdiger als die andere. Wir werden den Vorfall nicht mehr klären können, und ich habe keine Aussage gehört, aufgrund derer eine Verurteilung gerechtfertigt wäre.« Das sah auch der Vorsitzende Richter so, wenngleich er anmerkte, begründete Zweifel zu haben. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last.

Artikel vom 15.06.2006