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George Bernard Shaw

»Hätte man bei der
Erschaffung der Welt eine Kommission eingesetzt, wäre sie heute noch nicht fertig.«

Leitartikel
Fahnenstreit & Abfangjäger

Da biegt der Adler sich vor Lachen


Von Rolf Dressler
Es herrscht beschwingte Jubel-Trubel-Heiterkeitsstimmung rund um die (diesmal deutschländische) Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Und weil die Sommersonne mit den ohnehin schon grenzenlos Begeisterten um die Wette strahlt, sprießt am Rande des Geschehens auch so manche sonderbare Blüte besonders kräftig ins Kraut.
Anschauungsbeispiele gleich im Dreier-Pack lieferte der Mittwoch, an dem die heimische Fangemeinde dem abendlichen Auftritt der Klinsmann-Mannen gegen Polen entgegenfieberte.
Zwar leuchtet es ein, dass Deutschlands Sicherheitskräfte ein besonderes Augenmerk auf die Auto- und Eisenbahn-Karawanen aus Richtung Osten richten mussten. Denn namentlich mit dem harten Kern gewalttätiger polnischer Hooligan-Banden ist, gelinde gesagt, nicht gut Kirschen essen. Doch warum wurden vorrangig auf den Ost-West-Autobahnen unterschiedslos sämtliche anreisenden Pkw, Omnibusse etc. mit polnischem Kennzeichen gestoppt und deren Insassen nach allen gestrengen Regeln dieser Kunst »gefilzt«?
Noch extra kurios gebärdete sich der Abschnittsbevollmächtigte für den A 2-Kontrollbereich Ostwestfalen-Lippe. Ausdrücklich belobigte er die Friedfertigkeit und Kooperationsbereitschaft der Ge- stoppten und Gefilzten. Aber noch im selben Atemzug und in schön- stem Amtsdeutsch verkündete er frohgemut, man habe auftragsgemäß »selektiert«, um Problempersonen im polnischen WM-Riesen- tross aufzuspüren.
Ein solcher Sprachgebrauch ist entbehrlich. Erst recht hätte beizeiten bedacht werden sollen, dass eine solche Total-Kontrollaktion, wenn auch unbeabsichtigt, alle Polen unter Generalverdacht rückt. Zum Vergleich: Wären beispielsweise die Niederländer genauso schiedlich-friedlich geblieben wie die Fußballfans von östlich der Oder?
Wenigstens einmal, einen einzigen Tag lang, wollten Dutzende nicht eben betuchter junger Tschechen im WM-Deutschland »zu Gast bei Freunden« (v)erleben. Daraus wurde nichts, weil irgendein Oberbürokrat in einer (wie auch immer) zuständigen Behörde es so verfügt hatte.
Die deutsche Obrigkeit, hieß es in Prag, habe den Be-treffenden die Rote Karte gezeigt und sie nach Hause zurückgeschickt - Begründung: Sie hätten weniger als 30 Euro dabei. Halbklar weich das Dementi des Berliner Innenministeriums: Nur »Problempersonen« seien abgewiesen worden.
Aber es kommt noch schöner, dicker, lächerlicher. Sogar bis hinauf in den sommerpausigen Deutschen Bundestag tobt nun ein ätzend absurder Widerstreit darüber, ob Polizisten ihre Einsatzwagen aus purem Spaß an der Fußball-WM mit der Deutschland-Fahne bestücken dürfen. CDU und SPD, die Berliner Großkoalitionäre, haben gottlob absolut nichts dagegen, anders NRW-FDP-Innenminister Ingo Wolf.
Da biegt sich der Bundesadler vor Lachen, wird deswegen aber sicherlich nicht »den Abflug machen«. Ein souveränes Tier ... !

Artikel vom 15.06.2006