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Anbetendes Schweigen und
lebensfrohes Glaubensfest

Zum Fronleichnamsfest von Weihbischof Wiesemann

Weihbischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann, Paderborn

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
es waren vielleicht die ergreifendsten Minuten des ganzen Weltjugendtages im vergangenen Jahr: die Augenblicke der Stille bei der eucharistischen Anbetung während der nächtlichen Vigilfeier mit unserem Papst auf dem Marienfeld bei Köln. Hunderttausende junger Menschen schauten gemeinsam auf einen, in der Ferne winzigen Punkt, auf den eucharistischen Leib Christi in der Monstranz - und es herrschte ein so dichtes Schweigen stiller Konzentration und Anbetung, das weit mehr unter die Haut ging und die Gewissheit einer übergreifenden, alle nur menschliche Kommunikation übersteigenden Gemeinschaft schaffte, als es jede lautstarke Kundgebung je vermöchte. »Ich wusste nicht, dass so viele junge Menschen so still sein können«, sagte mir hinterher ein Jugendlicher, sichtlich von der Begegnung mit dieser Art von Stille erschüttert.
Als zu Beginn dieses Jahres ein Film mit Überlänge in unsere Kinos kam, der den Titel »Die große Stille« trug - und in der Tat stundenlanges Schweigen in der stillen Beobachtung des Lebens der Karthäusermönche in der Grande Chartreuse in Frankreich darbot, da war man erstaunt, dass dieser Film Tausende vor allem junger Menschen in die Kinos lockte. Suchen die Menschen wieder verstärkt die Wirklichkeit hinter den sichtbaren, hörbaren, sinnlich »begreifbaren« Dingen?
Nach außen hin ist das katholische Fronleichnamsfest ein sinnenfrohes Glaubensfest. Wir ziehen nach der Feier der heiligen Messe in feierlicher Prozession durch die Straßen unserer Städte und Dörfer, und dabei kann sich alle katholische Lebensfreude und Lebensbejahung ausleben: mit Fahnen, Musikkapellen, Kommunionkindern und Messdienern, über Blumenteppiche zu liebevoll gestalteten Altären É Der innerste Kern dieses Festes aber wird erfüllt durch heiliges, anbetendes Schweigen vor der unbegreiflichen Nähe Gottes, der sich selbst uns in Jesus Christus als Brot des Lebens schenkt und uns zur Gemeinschaft der Kirche zusammenfügt.
Seit den ersten Zeiten feiert die Kirche die Eucharistie als »Quelle und Höhepunkt« des ganzen kirchlichen Lebens, wie das II. Vatikanische Konzil gesagt hat. Der auferstandene Herr ist dabei in seinem Wort und - in unvergleichlicher Dichte - unter der Gestalt von Brot und Wein inmitten der Gemeinde gegenwärtig. Im Augenblick der Wandlung der irdischen Gaben in die Gegenwart des Herrn herrscht Stille, nur durch das hinweisende, zu Konzentration aufrufende Schellen der Ministranten unterbrochen. Der Priester kniet nieder und betet mit der Gemeinde dieses »Geheimnis des Glaubens« an. In der Anbetung richtet der Mensch sich selbst ganz auf jene Wirklichkeit hinter aller Sichtbarkeit aus, die den Sinnen nicht unmittelbar zugänglich ist und nur im Glauben erfasst werden kann. »Augen, Mund und Hände täuschen sich in dir, doch des Wortes Botschaft offenbart dich mir«, betet der heilige Thomas von Aquin in einem seiner berühmten Hymnen zum Fronleichnamsfest. An diesem Fest verlängern wir den Augenblick der Anbetung in der festlichen Prozession mit ihren Segensstationen, an denen in alle vier Himmelrichtungen der Segen mit der Monstranz gegeben wird. Das sind die Augenblicke anbetenden Schweigens, die mehr unter die Haut gehen können als jedes gesprochene Wort.

Artikel vom 15.06.2006