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Ronaldo mit Pfiffen verabschiedet

Gruppe F: Brasiliens Offensive schwächelt - Kroatien verpasst mögliche Sensation

Von Jens Brinkmeier
Berlin (WB). Gut, dass Brasilien am Dienstag nicht schon um 15 Uhr gegen Kroatien antreten musste. Denn in brütender Hitze hätte sich Stürmerstar Ronaldo wohl noch weniger bewegt. Das wäre aber nur schwer möglich gewesen.

»Schwer« ist das Stichwort: Immer wieder hatte der Angreifer bestritten, zu viel Gewicht auf die Waage zu bringen. Doch wer den schwerfälligen Auftritt im Olympiastadion gesehen hat, muss sagen: Der dreimalige Weltfußballer sieht nicht austrainiert aus. Genau eine gute Aktion hatte der 29-Jährige beim 1:0-Sieg seiner Elf, den Kaká mit einem tollen Tor sicherstellte: Ein 20-Meter-Schuss ging knapp einen halben Meter über das kroatische Gehäuse (56.). Mehr war nicht, und folgerichtig wurde Ronaldo nach 69 Minuten ausgetauscht. Der Großteil der 72 000 Fans verabschiedete den Stürmer von Real Madrid mit einem gellenden Pfeifkonzert. »Er ist halt schwer, und es war ziemlich heiß«, kommentierte Trainer Carlos Alberto Parreira
Natürlich lag es nicht nur an Ronaldo, dass sich die brasilianische Offensive schwer tat. Und hätte der Stürmer sein Tor gemacht, wäre die Kritik verstummt. Doch die Leistung grenzte an Arbeitsverweigerung. Sturmpartner Adriano hatte auch nicht seinen besten Tag erwischt, und von Weltfußballer Ronaldinho war ebenfalls weniger zu sehen als gewohnt. Ein Aufsetzer, den Kroatiens Schlussmann Stipe Pletikosa um den Pfosten lenkte (15.) und ein Kopfball (62.) - das waren die wenigen Höhepunkte.
Dank Kaká, der die Kugel kurz vor der Halbzeit mit links in den Winkel schlenzte (44.), reichte es doch noch zum achten Sieg in Folge bei Weltmeisterschaften - die letzte Niederlage gab es im Finale 1998 gegen Frankreich. Das eine Tor reichte gegen gute Kroaten, die trotz engagierter Leistung mit leeren Händen dastanden.
»Es ist ärgerlich, ich hätte so gerne ein Unentschieden geholt«, bekannte Kapitän Niko Kovac. Dem Noch-Herthaner, der ab dem 1. Juli bei Red Bull Salzburg unter Vertrag steht, taten nach seinem Heimspiel neben der Niederlage auch die Rippen weh. Nach 40 Minuten musste Kovac das Feld nach einem Zusammenprall mit Adriano verlassen, hofft aber auf einen Einsatz am Sonntag gegen Japan. Dann muss ein Sieg her, und die Vorstellung gegen den großen Favoriten macht Mut.
Trainer Zlatko Kranjcar sagte: »Ich bin stolz auf meine Jungs. Sie haben sich tapfer geschlagen. Dieses Spiel hat gezeigt, dass die kroatische Mannschaft das Zeug dazu hat, bei diesem Turnier sehr weit zu kommen. Man hat gesehen, dass wir die Brasilianer ganz gut in Schach halten können.«
Das war auf eine ausgezeichnete Defensivleistung zurückzuführen. »Es war schwer gegen unsere Abwehr«, lobte Werder Bremens kroatischer Stürmer Ivan Klasnic die Kollegen. Aber auch im Angriff wurde der Außenseiter immer mutiger, je länger die Begegnung dauerte. Dado Prso (50.), Marko Babic (70.) und Trainersohn Niko Kranjcar (88.) hatten große Chancen, für die Sensation zu sorgen.
Die Brasilianer aber brachten das knappste aller Resultate am Ende über die Zeit und feierten Mittelfeld-Ass Kaká. Glanzvoll war der Auftritt allerdings nicht. Das sah auch Ivan Klasnic so: »Wenn sie so weiterspielen, dann werden sie nicht Weltmeister.«

Artikel vom 15.06.2006