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Gestrandet im Tierheim
Bundesweit werden in den Ferienmonaten 70 000 Tiere ausgesetzt
»Geh bitte nicht so vorbei an meinem Zwinger.« Was draußen am Gitterverschlag steht, das sagen auch Bennies Augen. Der acht Jahre alten Schäferhund ist im Tierheim gestrandet.
Ein Schicksal, das deutschlandweit 270 000 Haustiere mit ihm teilen: Hunde, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen oder auch Papageien. Und ihre Zahl nimmt zu, vor allem in den Haupturlaubszeiten. Allein im Sommer vergangenen Jahres waren es nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes 70 000, die Mehrheit von Herrchen oder Frauchen ausgesetzt, dem Schicksal überlassen.
Eine offizielle Zahl ausgesetzter Tiere gibt es nicht. »Wenn ein Tier auf der Straße aufgegriffen wird, kann man schlecht wissen, ob es weggelaufen ist, oder ob es ausgesetzt wurde«, sagt Brigitte Münch, Leiterin des Bremer Tierheims. Doch die Erfahrung zeigt, in den meisten Fällen melden sich die Besitzer nicht mehr. Sie beklagt, dass viele der im Stich gelassenen Tiere nicht mit einer Tätowierung oder einem Mikrochip gekennzeichnet sind. »Dann wird es fast unmöglich, den Halter ausfindig zu machen.«
Neugierig oder mit großen Augen blicken die Tiere im Heim auf Besucher. Viele sind jetzt am Rande ihrer Kapazität. Teils müssen sich mehrere Tiere einen Käfig teilen. Binnen sechs Wochen sind es oft Hunderte von Hunden und Katzen, die neu untergebracht und verpflegt werden müssen.
Nicht nur »das Urlaubsproblem«, auch Umzüge sind nach den Erfahrungen der Tierheime ein häufiger Grund, sich selbst nach Jahren vom Tier zu trennen. »Wenn die neue Wohnung zu klein ist oder der neue Vermieter keine Tiere im Haus will, dann muss es oftmals weg«, beklagt Münch. Auch wegen finanzieller Probleme lassen Herrchen und Frauchen die Tiere laufen - oder binden sie an einer Autobahnraststätte an. »Vor kurzem wurde ein Hund vor der Tür des Tierheims an einen Müllcontainer angebunden. Er hatte eine Tüte mit Futter und sein Spielzeug dabei.«
Die Belastungen für das ausgesetzte und allein gelassene Tier können sehr groß sein. »Zunächst entsteht eine erhebliche Irritation, die je nach Art des Aussetzens in totaler Verunsicherung oder sogar im Schockzustand endet«, sagt Hundetrainerin Elke Müller. »Dann kann entweder aus Angst oder Aggression die Gefahr von Bissen gegen sich annähernde Personen bestehen.« In welche Obhut das verlassene Tier genommen wird, kann ebenfalls eine große Rolle spielen. Im schlimmsten Fall könne das Vertrauen zu Menschen völlig verloren gehen.
Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Wolfgang Apel, bittet: »Bringen Sie das Tier während des Urlaubs bei einem Freund oder in einer Tierpension unter.« Tierheime organisierten zudem Tauschaktionen während der Sommerferien, Motto: »Nimmst du mein Tier, nehm' ich dein Tier« (siehe unten). Doch falls eine endgültige Trennung beschlossene Sache sein sollte, biete sich das Tierheim als bessere Alternative an. Apel: »Das Aussetzen ist nicht nur unverantwortlich, es ist eine Straftat, die mit Freiheitsstrafen oder auch Bußgeld bis zu 100 000 Euro geahndet werden kann.« (WB/dpa)

Artikel vom 08.07.2006