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Hamas-Ministerpräsident Imail Hanija

»Wir sind ein Volk, das nie andere angegriffen hat. Wir wollen Ruhe
und Stabilität.«

Leitartikel
Unruheherd Palästina

Bruderzwist ohne Schlichter


Von Reinhard Brockmann
Der Bruderzwist der Palästinenser nimmt jeden Tag mehr Formen eines Bürgerkrieges an. Raketenangriffe der Hamas auf die Fatah, ein brennender Regierungssitz und Zündeleien am Parlament im Gegenzug prägen das Bild. Dazwischen gibt es immer wieder primitiven, mitunter tödlichen Beschuss von Siedlungen jenseits der Grenze und - auf dem Fuße - furchtbare Vergeltung der in allen Belangen überlegenen Israelis.
Überrollt von neuen Wellen der Gewalt tragen Mahmud Abbas, gewählter Präsident aus dem Lager der korrupten Fatah, und Ministerpräsident Ismail Hanija, ebenfalls demokratisch legitimiert, ihre Machtkämpfe aus. Schießereien der Milizen untereinander sind äußerer Ausdruck dessen, was sich intern abspielt.
In einer Volksabstimmung, die die Verfassung nicht vorsieht, will Präsident Abbas Ende Juli über eine sogenannte Gefangeneninitiative abstimmen lassen. 85 Prozent der Palästinenser sollen nach Umfragen den Plan, der endlich Frieden bringen könnte, begrüßen. De facto läuft das von prominenten Palästinensern in israelischer Haft formulierte Papier auf die Anerkennung Israels etwa in den Grenzen von 1967 hinaus.
Hamas, so viel ist erkennbar, setzt alles daran, den Urnengang zu unterlaufen. Das ist militärisch ein leicht zu erringender Sieg, politisch aber ein Eigentor.
Außerdem: Israel setzt längst einseitig auf Grenzen. Ob mit oder ohne Verhandlungen wird derzeit der 600 Kilometer lange Grenzzaun zum Westjordanland errichtet. So werden Fakten geschaffen - auch israelintern.
Nicht zu vergessen: Der heute hochgradig pflegebedürftige Ariel Scharon hat den Abzug aus dem Gaza-Streifen wahr gemacht. Der vermeintliche Rambo ließ Siedlungen sowohl hier, als auch - in geringerem Umfang - im Westjordanland räumen. Schon bereitet sein Nachfolger Ehut Olmert weitere Räumungen zwischen Dschenin und Hebron vor.
Der Westen schaut tatenlos zu. Es bleibt ihm auch kaum etwas anderes übrig. Niemand kann ernsthaft Unterstützungsgelder an eine Regierung zahlen, die damit Waffen kauft und Angehörigen von Selbstmordattentätern Rente zahlt. Das ist unter Jassir Arafat zwar auch schon geschehen, nur wurde die Öffentlichkeit seinerzeit nicht mit der Nase darauf gestoßen worden. Allein humanitäre Hilfe kann und muss geleistet werden. Die Vereinten Nationen sind dort seit Jahrzehnten mit Ernährungs- und Gesundheitsprogrammen hier tätig, insofern kann nicht von einer humanitären Katastrophe die Rede sein. Nebenbei: Das Pro-Kopf-Einkommen im Westjordanland ist höher als im arabischen Bruderstaat Ägypten.
Schon jetzt ist klar: Je schneller die unterschiedlichen Kräfte in Palästina das Rad der Gewalt drehen, desto weniger werden sie erreichen. Allein Einsicht und der Verzicht auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge von 1946 (und ihrer Nachkommen) brächten sie einer Lösung näher. Aber: Hanija ist und bleibt ein Terror-Chef.

Artikel vom 14.06.2006