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»Aufklärungsarbeit ist unerlässlich«

Hans-Jürgen Neudecker berichtet im Erzählcafé vom Kampf gegen Lepra

Brackwede (ptr). »Lepra ist in erster Linie eine soziale Krankheit«, sagt Hans-Jürgen Neudecker, und es schwingt ein bisschen Ärger in seiner Stimme mit. Bis heute gehört die Bakterieninfektion zu den am meisten missverstandenen Erkrankungen, haben Helfer im Kampf gegen Lepra immer wieder mit reichlich Vorurteilen zu kämpfen.

Seit Jahrzehnten engagiert sich Neudecker, sonst Küster und Hausmeister der katholischen Herz-Jesu-Gemeinde in Brackwede, ehrenamtlich für die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe. Eine Tätigkeit, die er wahlweise als »Herzensangelegenheit, Hobby oder Verpflichtung« bezeichnet. Begonnen hat alles im Winter 1970/71, als Neudecker erstmals beim Weihnachtskartenverkauf in der Gemeinde half, dessen Erlös an das Deutsche Aussätzigen-Werk ging. Fortan klapperte er jedes Jahr bis zu 30 Gemeinden ab, verkaufte »bei Wind, Regen, Schneesturm oder eisigen Temperaturen« neben Postkarten auch Kerzen, Geschenkpapier oder Strohsterne aus Werkstätten der dritten Welt. »In guten Jahren sind so bis zu 25 000 Mark zusammengekommen«, sagt Neudecker.
1991 machte dann Vater Staat den emsigen Helfern einen Strich durch die Rechnung. »Wir sollten auf unsere Artikel plötzlich Mehrwertsteuer zahlen«, erinnert sich Neudecker. Der Verkauf habe sich deshalb nicht mehr gerechnet. »Dabei haben wir rein ehrenamtlich gearbeitet und sogar das Benzin für die Fahrten selbst bezahlt.« Eine zeitlang habe er versucht, bei Gemeindefesten oder während des Pfarrtreffs mit einem kleinen Verkaufsstand wenigstens etwas Geld zu erlösen. Mit der Zusammenlegung der Gemeinden Herz-Jesu Brackwede und St. Michaelis Ummeln und seinen daraus erwachsenen Verpflichtungen als Küster sei dies jedoch letztlich nicht mehr vereinbar gewesen.
Seither bemüht sich Neudecker, mit einzelnen Projekten zu helfen. Ein gemeinsam mit Brackwedes Kantor Walter Haverkamp organisiertes Benefizkonzert brachte 2003 immerhin 1600 Euro ein. Bereits im Jahr 2000 war es Neudecker gelungen, Ruth Pfau, Lepra-Ärztin, deutsche Ordensfrau und gleichzeitig Staatssekretärin in Pakistan, nach Brackwede einzuladen. »Es gibt nur wenige Menschen, die allein durch ihre Anwesenheit etwas bewirken, Ruth Pfau gehört dazu«, erinnert sich Neudecker an den Vortrag der Lepra-Ärztin, die bei brütender Hitze vor 170 Gästen im Pfarrheim von Herz-Jesu von ihren Erlebnissen berichtet habe.
»Erschüttert hat mich vor allem ihr Bericht von einem Mädchen aus Pakistan, das wegen seiner Lepra-Erkrankung in eine Höhle eingemauert wurde«, sagt Neudecker. Einzig ein winziger Spalt sei offen geblieben, um die Unglückliche mit Essen zu versorgen. Aufklärungsarbeit sei angesichts solcher Geschehnisse unerlässlich, denn: »Lepra ist heilbar und längst nicht so ansteckend wie viele glauben. Wenn ich Lepra-Kranken die Hand gebe, passiert gar nichts.« Häufigste Gründe für eine Erkrankung seien vielmehr hygienische Mängel und Unterernährung. »Lepra-Kranke dürfen nicht länger sozial ausgegrenzt werden«, sagt Neudecker. Dafür will er weiter kämpfen, am liebsten im Kreis vieler neuer Mitstreiter.

Artikel vom 19.06.2006