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Haltet dicht, Jungs!

Spieler und Trainer begegnen der Kritik an der Abwehr offensiv

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). Er kann es besser. Viel besser. Arne Friedrich bleibt allerdings nicht mehr viel Zeit, dies auch zu zeigen. Der »Kicker« haute dem Verteidiger von Hertha BSC sogar die schlimmste Note um die Ohren: Sechs, setzen.

Damit stempelte das Ball-Magazin den Berliner zum Sündenbock des 4:2 gegen Costa Rica, obwohl es in einem gewonnenen Spiel gar keinen Sündenbock geben kann. Alle auf den armen Arne, das hatte er nicht verdient. Aber die offenen Stellen im Schützengraben haben dazu geführt, dass es die Verteidiger immer härter auf die Nuss bekommen.
Ist die Abrechnung mit der Abwehr übertrieben? »Wir haben uns das Spiel gegen Costa Rica noch einmal angeschaut. Die kamen im ganzen Spiel auf zweieinhalb Chancen«, rechnet Bundestrainer-Assistent Joachim Löw vor. »Zwei davon führten zu Toren. Aber es waren nur zweieinhalb Chancen. Mehr haben wir nicht zugelassen.«
Es bleibt die Frage, welchen Umrechnungskurs man nach der Partie zu Grunde legt. Sind zweieinhalb Gelegenheiten der Mittelamerikaner wie gefühlte sechs für Argentinien oder acht für Brasilien? Wie bunt werden es die Polen treiben, die auch nicht hinter dem Tor schlafen und genau gesehen haben, wie die Deutschen zu packen sind. Die mühen sich im Spezialtraining nach Kräften, erwarten auch, in Dortmund kompakter aufzutreten.
»Gegen Costa Rica fand das Spiel fast ausschließlich in deren Hälfte statt. Darum waren viele Spieler von uns oft vor dem Ball. Das kann schnell gefährlich werden«, beschreibt Christoph Metzelder die Risiken und Nebenwirkungen, die auf dem Beipackzettel eines hoch überlegen geführten Spiels stehen. Gegen Polen geht er von anderen Voraussetzungen aus: weniger Pässe in die Spitze, die die deutsche Mannschaft überhaupt nicht mag, dafür eine Menge Begegnungen von Mann zu Mann, die den Verteidigern besser liegen.
Wer die hintere Reihe befehligt, ist nicht klar; einen offiziell ernannten Aufseher gibt es nicht. »Wir sind alle aufgefordert, mehr zu reden«, sagt Metzelder. Und dann muss alles auf ein Kommando hören - von wem auch immer. Im Schnellverfahren getroffene Mehrheitsentscheidungen bringen nichts. Friedrich beklagte sich, »dass die anderen drei in der Viererkette entschieden haben, auf abseits zu spielen«, derweil er den Moment verpasste. Wumms, drin war das Ding.
Innen sollen Per Mertesacker und Christoph Metzelder versetzt stehen, damit einer als Notkommando eingreifen kann, wenn der Partner ausgehebelt wurde. Auch das klappt noch nicht nach Wunsch. Sie haben auch nur wenige gemeinsame Bewährungsproben bestehen müssen. »Deswegen stimmt es nicht, dass unsere Probleme schon lange da sind. Christoph und ich spielen erst kurz zusammen«, sagt Mertesacker. »Und die Zusammenarbeit war gar nicht so schlecht.«
Alle sind sich einig, dass sich in Wort und Tat etwas verbessern muss. Verstärkte Kommunikation auch mit Torhüter Lehmann, sofortiger Rückzug, wenn im Mittelfeld die Kugel flöten geht und eine Steilvorlage ins Innere der Deutschen erheblichen Schaden anrichten könnte.
Ob der Bundestrainer personell etwas ändern wird, muss die Partie gegen Polen ergeben. Links ist Jürgen Klinsmann mit Philipp Lahm lecker zufrieden, im Deckungszentrum hakt es noch im »M&M«-Verbund, rechts spielt Friedrich offenbar auf Bewährung weiter. Die Alternativen - Schneider und Frings - wollen da gar nicht hin, Owomoyela ist in Urlaub. »Ich sehe mich aber nicht als einzigen Kandidaten«, sagt Friedrich und tritt dem Eindruck entgegen, dass ihn seine Monopolstellung ein paar Prozent Leistung kostet: »Das ist bestimmt nicht so.«
Angenehm dürfte das Verteidigerleben unter dem Brennglas der besorgten Beobachter nicht sein. Hilfreich sind hoffentlich die Ausführungen des Schweizer Analytiker Urs Siegenthaler, der alles im Detail zerpflückt und dabei auch Fehlleistungen offenlegt, die schon im Mittelfeld zu Tage treten.
Es ist die kollektive Rückwärtsbewegung, die Kummer macht. Wenigstens funktioniert bisher der Vorwärtsgang.

Artikel vom 14.06.2006