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Lippi spielt »Totti-Toto«

Stürmische Italiener wollen lange in Deutschland bleiben

Von Klaus Lükewille
Hannover (WB). Nach dem Abpfiff legten sie in Hannover die passende Scheibe auf. »Azzurro« heißt der alte Hit. Und für die Italiener war an diesem Abend mit dem 2:0-Auftaktsieg in Hannover gegen Ghana alles so himmelblau wie die Trikots der Nationalmannschaft.

Deutschland kann ja so schön sein. Selbst ihr Standort Duisburg, nicht gerade eine Stadt, in der man unbedingt mal gewesen sein muss, gefällt ihnen immer besser. Dorthin ging die Reise zurück ins »Landhaus Milser«, mit den ersten drei Punkten im Koffer. Trainer Marcello Lippi strahlte: »Das war ein toller Start. Dieser Sieg tut gut. Denn die letzten 20 Tage waren nicht leicht.«
Darum sind die Italiener so gern nach Deutschland gefahren. Bloß weg aus der Heimat, der Manipulationsskandal soll durch starke WM-Auftritte in den Hintergrund rücken. Und deshalb fühlte sich Lippi in Hannover auch so wohl: Fragen nach einem erfolgreichen Spiel sind eben angenehmer als ein Verhör bei der Staatsanwaltschaft in Rom. Darum will der Trainer mit der Mannschaft auch möglichst lange im WM-Land bleiben. Am besten bis zum Finale.
Italiens Presse jubelte das 2:0 gegen Ghana himmelhoch: »Lippi, das war dein erstes Meisterwerk«, stellte die »Gazzetta dello Sport« fest. FIFA-Präsident Joseph Blatter wollte sogar das bisher beste Spiel der WM gesehen haben.
Das ist vielleicht ein bisschen zu viel Lob für eine Vorstellung, in der die Italiener auch davon profitierten, dass die Afrikaner beste Chancen nicht nutzten - und dazu das alles entscheidende 2:0 selbst vorlegten. Ex-Bayern-Verteidiger Sammy Kuffour servierte Vincenzo Iaquinta in der 83. Minute den Ball. Andrea Pirlo hatte in der 40. Minute die Führung besorgt.
2:0. Verglichen mit den 1:0-Spar-Siegen der anderen Mitfavoriten Brasilien, England, Holland und Portugal haben die ehemaligen Sicherheitsexperten aus Italien geradezu stürmisch begonnen. »Das wird auch unsere Marschrichtung bleiben«, kündigte Lippi an, der dabei vor allem auf Regisseur Francesco Totti setzt.
»Der Trainer hat immer an mich geglaubt; ich muss ihm das mit Leistung zurückzahlen«, sagte der Römer, der nach seiner langen Verletzungspause allerdings von seiner Bestform noch ein Stück entfernt ist. Als Totti nach 56 Minuten bei einem Duell schmerzhaft getroffen wurde, wechselte Lippi ihn gleich aus: Schonzeit bis zum nächsten Auftritt.
Gegen die USA läuft Totti am Samstag in Kaiserslautern wieder auf: »Nichts Schlimmes, nur eine leichte Prellung.« Lippis »Totti-Toto« geht also weiter. Der Trainer ist fest davon überzeugt, dass er hier den Richtigen auf den Rasen schickt: »Wenn Francesco zurzeit auch nur 60 Prozent seiner Leistung bringen kann, ist er immer noch Extraklasse.«
Wie der Haarschnitt des Stars. Totti war beim Friseur. Alessandro Del Piero übrigens auch. Fabio Cannavaro verteidigt schon länger mit Igel-Schnitt. Ein völlig neues Italien-Bild: kurz ist jetzt modern - und offensiver Fußball.

Artikel vom 14.06.2006