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Von Kranichen und Hummeln

»Lost in Education« überzeugt als überspitzte Lehrersatire

Von Melanie Beyster

Bielefeld (WB).Es gibt vielfältige Möglichkeiten, sich über das deutsche Schulsystem aufzuregen. Der Jugendclub des Theaters Bielefeld hat am vergangenen Samstag Abend im TAM zwei mit Sicherheit die amüsanteste gewählt. »Lost in Education«, ein Stück, dass ein Lehrerkollegium im Ausnahmezustand portraitiert, wurde von den Darstellern eigens nach Motiven des Romans »Lehrerzimmer« von Markus Orths verfasst.
In 30 Szenen wird der erste Tag des Herrn Kranich an der neuen Schule dargestellt. Zu Beginn ist er begeistert, dass er die Stelle überhaupt bekommen hat, doch das soll sich bald ändern. Die erste Begegnung mit Rektor Höllinger, auf dessen Abschussliste er steht, holt ihn gnadenlos auf den Boden der Tatsachen zurück. Schnell stellt Kranich fest, dass sich das aus zehn Lehrerinnen bestehende Kollegium nicht scheut, ihm in den Rücken zu fallen. Kranich sieht sich konfrontiert mit einem ungerechten System, in dem er sich mehr als unwohl fühlt. Zu den besonderen Höhepunkten dieser skurrilen Welt gehört der Violence-Unterricht von Frau Hummel. Hier lernen die Schüler neue englische Wörter zum Thema Gewalt, wie »to beat« (schlagen). Damit man sich die Wörter besser merken kann, werden sie im Gebrauch geübt. »Would you please beat your neighbor« (Würden Sie bitte ihren Sitznachbarn schlagen), empfiehlt Frau Hummel. In Zusammenarbeit mit den Zuschauern demonstriert sie, wie Unterricht stattfinden kann.
Um die Sicherheit in der Schule zu gewährleisten, beruft Rektor Höllinger eine Gesamtlehrerkonferenz ein, die einem Gruppenappell ähnelt. Er verteilt einen Schlüssel an jeden Lehrkörper, mit dem von nun an jeder Klassenraum während der Pause abzuschließen ist. Sollte jemand seinen Schlüssel verlieren, dann würde diese Person unweigerlich einen Platz auf der Abschussliste nach oben rutschen. Zusätzlich soll ein Undercoveragent aus dem Kollegium versuchen, so viele Schlüssel wie möglich zu stehlen. So spielt er die Lehrer gekonnt gegeneinander aus, denn das so entstandene Misstrauen prägt von nun an den Schulalltag.
Nur Herr Kranich ist in der Lage, einen Ausweg aus der Situation zu finden, und damit Rektor Höllinger von der Tafel zu wischen.
Die jungen Schauspieler zwischen 16 und 21 Jahren bewiesen überzeugendes kreatives Bewusstsein. Unter der Leitung von Martina Breinlinger ist es ihnen gelungen, den Schauspielern die Rollen tatsächlich auf den Leib zu schreiben. Der Jugendclub zeigt mit »Lost in Education« überspitzte Lehrerstereotypen, die es sich wirklich zu sehen lohnt. Weitere Vorstellungen finden noch am 14., 15., 22. und 23. Juni statt.

Artikel vom 12.06.2006