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Von Matthias Meyer zur Heyde

Zeit, dass
sich was rollt

Musikbranche auf dem WM-Zug


»Hip-Hop ist okay, aber meine Musik ist ÝGenesisÜ und ÝYesÜ.« So äußerte sich Jürgen Klinsmann in einem Zeitungsinterview, in dem die Reporter Klinsis Musikgeschmack erforschten. Weltmeisterschaft und flotte Lala - geht das?
Es geht nicht, wie wir seit »Fußball ist unser Leben« (1974) und »Wir sind schon auf dem Brenner« (1990) wissen. Aber wir versuchen's trotzdem immer wieder. Diesmal hustet Herbert Grönemeyer eine Currywurst in den Staub von Bochum und nennt das dabei entstehende Geräusch »Zeit, dass sich was dreht«. Sein Song beginnt im Schwulst und driftet ab in die Banalität (olé, olé), bevor Afrikas Geister beschwören werden (trommel, trommel, umbaba) und das Finale pathetisch verendet.
Mal abgesehen von Berufsjugend-Sprech wie »Hey Deutschland, was geht?« - was dreht sich hier eigentlich? Der Ball womöglich? Rollt oder fliegt der gar nicht mehr? Andererseits: Zeit, dass sich was rollt? Zeit, dass sich was fliegt? Schwamm drüber.
Die Musikindustrie, die mit »zielgerichteten Produkten« (EMI-Manager Manfred Rolef) am WM-Geschäft teilhaben möchte, hat allerlei Töne produziert und hofft, dass sie sich in des Bürgers Gehörgang zur kaufanregenden Melodie formieren. Voilà: Das Hamburger Quartett »Steinfisch« präsentiert die CD »Weiter Abschlag«. Was kriegen Sie da für Ihr Geld? Dies hier: nervöse Gitarrenriffs zu verzerrtem Orgelsound, von Chorus-Bässen verfolgte groovende Drums und Gesang, der an eine alte Wolldecke gemahnt (jedenfalls laut »Steinfisch«-Eigenwerbung). Ferner ein CD-Cover, das wie Fußballrasen aussieht. Toll.
Als Rache an der Fifa für den Grönemeyer-Song intoniert »der große Wolfram Jütten« das Lied »Lass mich in dein' Strafraum, Baby«. Dabei handelt es sich, erstens, um einen aktualisierten Entwurf aus dem EM-Jahr 1984 (Jupp Derwall wehrte sich damals gegen die Veröffentlichung, völlig zu Recht). Und, zweitens, um Akustikgitarren-Geschrammel zu protoharmonischem Gemurmel, wie es einst bei den Wallfahrten zur Startbahn West und zum AKW Brokdorf erscholl. Erbarmen.
Wenn Sie auf die EMI-Seite www.fussball-hits.de rübersurfen, bedient man Sie mit »Legendários do Brasil« (bejahrte Fußballhelden wie Jairzinho und Oliveira intonieren mit brüchiger Stimme Samba, Rumba & Co. KG). Woanders grölt Mickie Krause »Schade, schade, Holland ist dabei«, die »Höhner« drohen uns jetzt, da die Welt zu Gast bei Freunden ist, die ganz große Sause an (»Here we go«), und Peter Wackel möchte mit »Ladi ladi ladioo« den Wahnsinnsstadionhit landen.
Angesichts dieser Konkurrenz hat der Mann beste Chancen.
Übrigens gibt es auch eine CD namens »Fußballjahr 2006 - 32 Nationalhymnen«. Frage des »Bunte«-Reporters: »Müssen die Spieler bei der WM die Hymne singen?« Antwort von DFB-Chef Theo Zwanziger: »Ja! Und zwar bis zur dritten Strophe.«
Bis??? Nach »deutsche Frauen, deutsche Treue« wird gleich angepfiffen? Na, wenn's dem Spiel guttut . . .

Artikel vom 10.06.2006