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Großer Aufriss für große Gefühle

Musikverein begeisterte mit Reinthalers »Jephtha und seine Tochter«

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Ein tragischer Konflikt, bedrückende dramatische und wunderbar empfindsame Effekte -Êeigentlich ist Carl Reinthalers Oratorium »Jephtha und seine Tochter« mit allem ausgestattet, was ein typisches Repertoirestück auszeichnet. Gleichwohl stellt die Aufführung durch den Musikverein der Stadt eine Ausnahme in der Musikgeschichte dar.

Dabei erfreute sich das 1855 in großem romantischem Aufriss vertonte Werk zu Lebzeiten des Komponisten großer Beliebtheit. Auch der Musikverein nahm sich 1867 der alttestamentarischen Geschichte Jephtas' an, der das israelische Volk aus den Händen der Ammoniter befreite, indes über ein zuvor abgelegtes Gelübde in einen Konflikt gerät. Im Falle eines Sieges muss er das erste Lebewesen opfern, das ihm bei seiner Heimkehr begegnet. Es ist seine Tochter Mirjam.
Wolfgang Helbich, künstlerischer Leiter des Musikvereins und Bremer Domkantor in Personalunion, ist die Wiederentdeckung des in seiner Größe und Tonsprache eng an Mendelssohns »Elias« angelehnten Werks zu verdanken. Seine intensive Beschäftigung mit der Partitur seines Vorgängers - Reinthaler wirkte von 1857 bis zu seinem Tod 1896 als Domorganist und Musikdirektor in Bremen -Ê trug am Donnerstagabend bei der Bielefelder Aufführung in der leider nur schwach besuchten Oetkerhalle erlesene Früchte. Die dramatische Koppelung von Rezitativ und Arien, der geteilt oder doppelchörig aufgestellte Chor, der weite Registeraufriss des Orchesters - all dies brachte Helbich in nicht nachlassender Spannung in den Einklang eines Gesamtkunstwerks, das ebenso zu fesseln wie zu rühren wusste.
Der unter der bewährten Mitwirkung von Martin Fugmann bestens einstudierte Chor zeigte Frische und Ausgewogenheit in der Klangfärbung nebst artikulatorischem Feinschliff und überzeugte im Ausdruck sowohl mit »kriegerischen« Aplomb als auch strahlend triumphalem Jubelgesang. Chapeau! Keine Spur von zweiter Wahl zeigten Cornelia Samuelis (Sopran) und Philip Langshaw (Bass). Kurzfristig für erkrankte Kollegen eingesprungen, zeigten die beiden Protagonisten als Jephtha und Mirjam rührend sensualistisches Klangempfinden und enorme vokale Präsenz in sämtlichen Registern. Den ansprechenden Gesamteindruck rundeten Felicitas Jacobsen, Waltraud Hoffmann-Mucher, Clemens-C. Löschmann, Michael Humann und ein im Laufe der Aufführung immer präziser spielendes Philharmonisches Orchester. Respekt für diese Großtat.

Artikel vom 10.06.2006