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Ulla Schmidt

»Das Ganze
muss
im Ganzen
stimmen«.

Leitartikel
Gesundheitsreform

Das Monster
lauert
hinterm Pool


Von Reinhard Brockmann
»Wer redet, fliegt.« Die Maßgabe für alle 16 Mitglieder der Koalitionsarbeitsgruppe zur Gesundheitsreform galt nie so rigoros wie ausgerechnet am Freitag vor der Bundespressekonferenz
In einer beispiellosen Veranstaltung des Nichtssagens verbündete Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vor Dutzenden von Kameras und Mikrofonen, dass Neues bis zum »Ausbruch des wirklichen Sommers« warten müsse. Dabei hatten sich Hitze und Hochs genau über jene Nacht eingestellt, in der die Koalitionsspitzen über das mal »Fonds«, mal »Pool« genannte Modell zur Finanzierung der Gesundheitskosten ins Bild gesetzt wurden.
Noch am Vorabend waren auch die großen Presseagenturen auffällig unauffällig informiert worden. Aber wieso wurde dann vor der gesamten Berliner Journaille wieder zum Rückzug geblasen?
Eine viel zu ehrliche Haut für solche Spielchen ist zum Beispiel Karl-Josef Laumann. Das Kommissionsmitglied aus NRW hält sich zwar an das Schweigegebot, sagt aber ganz offen, am Ende werde keiner der 16 Mitverantwortlichen noch Freunde haben.
Ob SPD-Bürgerversicherung, CDU-Kopfprämie oder Koalitions-Fonds: Am Ende zahlt der Versicherte drauf. Die Bürger haben das längst begriffen. Zu oft wurde ihnen in die Tasche gefasst.
Der Pool hat für die Politik zwei Vorteile. Die unvereinbaren Modelle von CDU und SPD lassen sich darin versenken, und das fehlende Geld müssen am Ende die Kassen, nicht der Staat bei den Bürgern per Prämie eintreiben. Theoretisch müsste die AOK mit vielen kranken und zahlungsschwachen Mitgliedern bei ihrer Klientel am stärksten abkassieren. Um das zu vermeiden, wird es wiederum Ausgleichstöpfe mit den bekannten Streitereien geben müssen. Hinzu kommen eine geplante Regulierungsbehörde sowie ein Zwangs-Dachverband aller Kassen. Kurzum: Das staatlich gelenkte Gesundheitssystem steht vor der Tür.
So wie die Einspeisevergütung für Energie aus Windkraftanlagen und Solarzellen über die Stromrechnung eingetrieben wird, so könnte es künftig eine Extra-Rechnung von der Krankenkasse geben. Statt nutzlose Doppelbürokratien, wie es sie etwa im Beihilfewesen für Beamte gibt, abzuschaffen, verbirgt sich hinter den schönen und gezielt gestreuten Wörtern »Pool« oder auch »Fonds« ein ganz neues Verwaltungsmonster.
Wenn heute schon einer der oft gescholtenen Beamten Husten hat, beginnt eine sagenhafte doppelte Buchführung mit dessen kleiner Saftrechnung. Was die Privatkasse prüft, nimmt sich anschließend eine Parallelwelt namens »Beihilfe« mit dem doppelten Personalaufwand noch ein zweites Mal vor.
Das Beispiel von vielen zeigt: Würde man der privaten Prüfung trauen, ließen sich dreistellige Millionenbeträge einsparen.
Ginge die Politik mit ihrer eigenen Verwaltung genauso radikal um wie mit dem Geld der Bürger, könnte auch Frau Schmidt Fakten statt Sprechblasen vorweisen.

Artikel vom 10.06.2006