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Russischer Volksmund

»Ein Gast, der
sich früh erhebt, bleibt meist die ganze Nacht.«

Leitartikel
Tribünengäste u. a.

Mahmud
hofft auf
Alis Tore


Von Rolf Dressler
Bei Fußballkundigen gerade auch hier im aktuellen WM-Land 2006 hat der Kicker-Name Ali Daei einen tadellosen Klang. Seinen sportlich wie menschlich außerordentlich guten Ruf untermauerte der einstige Welt-Rekordtorschütze aus dem heutigen Iran, dem früheren Persien, als er nacheinander für die deutschen Eliteliga-Klubs Arminia Bielefeld, Bayern München und Hertha BSC Berlin die Schußstiefel schnürte.
Unter gänzlich anderen, gelinde gesagt politisch heiklen Vorzeichen kehrte der inzwischen schon 37-jährige Erfolgsstürmer nun in Deutschlands Weltmeisterschaftsarenen zurück. Gestern in Nürnberg bestritt er mit der Nationalmannschaft aus dem Reich der dü-steren Mullahs das Einstiegsspiel gegen die Auswahl Mexikos. Ali Daei und Kollegen unterlagen zwar 1:3 und verpassten damit zum WM-Turnierstart einen Punkte-Dreier, der Gold wert gewesen wäre im Blick auf den Einzug in das Achtelfinale.
Doch genau den sehnt das Re- gime in Teheran womöglich sogar noch heißer und heftiger herbei als jene Ballartisten, von denen es das Weiterkommen nicht nur inständig erhofft, sondern im Grunde zwingend erwartet. Schließlich soll das eigene Erscheinungsbild um jeden Preis aufpoliert werden.
Ein mehr als zweifelhaftes, ja, gespenstisches Unterfangen, jedenfalls sofern man die volltönenden Protestadressen namentlich auch deutscher Politiker in Richtung Teheran für bare Münze nimmt - was schwer genug fällt, weil zu vieles heute kernig und morgen schon wieder wachsweich anmutet. Zweifel und Fragen drängen sich geradezu auf.
Zum Beispiel diese: Wenn Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, wie gestern nachmittag in Nürnberg, als Staatsverbrecher gebrandmarkt wird, weil er Israel auslöschen wolle, zudem den Ho- locaust leugne und sich damit, wie der CSU-Politiker Günter Beckstein sagte, »außerhalb jeder Zivilisation stellt« - weshalb durfte dann der zweite Mann hinter Ahmadinedschad, Vizepräsident Mohammed Aliabadi, überhaupt nach Deutschland einreisen, einzig um »seinen« Balltretern zuzuschauen? Warum kann er sich auf den hiesigen Stadiontribünen nach Herzenslust kameraträchtig im goldenen Glanze der Frühsommersonne produzieren?
Vergleiche hinken zumeist, ein wenig zumindest. Dennoch, wir erinnern uns noch sehr genau: Wollten seinerzeit nicht ein gewisser Joschka Fischer und mit ihm die geballte EU-Front das EU-Mitglied Österreich großmächtig in Acht und Bann schlagen und sogar mit einem Handelsboykott abstrafen wegen des »Sündenfalles Jörg Haider«...!?
Mit Kanonen auf Spatzen schießen, auch das wiederholt sich immer wieder in der Geschichte. Was aber wohl wird in WM-Deutschland und ringsumher los sein, sollte Fußballfan Mahmud Ahmadinedschad, der erklärtermaßen »Außerzivilisatorische«, tatsächlich zur WM-Zwischenrunde anreisen?
Darüber entscheiden nicht nur, aber auch Ali Daeis Tore.

Artikel vom 12.06.2006