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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr.Dr. Markus Jacobs


Es gibt Fragestellungen, die werden nie endgültig beiseite gelegt. Sie bleiben in irgendeiner Form immer aktuell. Eine solche Frage ist die nach dem Einen Gott und den vielen Göttern. Überrascht Sie dies? Meinen Sie, dass solche Grundlagen doch nun endlich allgemein anerkannt und geklärt seien? Vorsicht!
Zunächst einmal sollte es zumindest nachdenklich machen, dass sich selbst bei Jesus die Leute seiner Zeit nicht unbedingt sicher waren, wie er zu dieser Frage stünde. Denn wie sonst lässt es sich erklären, dass in den Lebensbeschreibungen Jesu eigens eine Episode festgehalten wird, wo jemand seine Einschätzung offensichtlich endlich einmal klar hören will.
Jesus antwortet ihm ohne zu Zögern: »Der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr«. Der Mann darauf erleichtert: »Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr, und es gibt keinen anderen außer ihmÉ« (Mk 12, 29.32) Dieses kurze Gespräch, bei dem es anschließend noch um die Konsequenzen dieser Überzeugung ging, war wie ein Abklopfen von Grundüberzeugungen.
Die Juden glaubten - im Gegensatz zu vielen umliegenden Völkern - an den einen und einzigen Gott, den Schöpfer und Erhalter von allem, was ist. Offensichtlich waren in einigen Zuhörern aber langsam Zweifel aufgestiegen, ob dieser Mann, der von Gott als seinem Vater sprach, überhaupt noch auf diesem gemeinsamen Boden stand. Jesus stand auf diesem Boden! Seine Beziehung zum Vater und sein Sprechen vom Geist beider durchbrach nicht den Ein-Gott-Glauben. Er vertiefte sogar etwas von diesem Geheimnis des »Einen«. Die Christen und die Juden jedenfalls sind später nie mehr großartig über diese Frage aneinander geraten. Die gemeinsame Basis des Glaubens an den einen Gott blieb wechselseitig unbestritten.
Anders stellte sich dies gegenüber dem Islam dar. Denn als fünfhundert Jahre später Mohammed auftrat, war er zwar zunächst von großer Achtung gegenüber Juden und Christen erfüllt. Er sah sie ausdrücklich beide als Bundesgenossen in seinem Einsatz für die Verehrung des Einen Gottes an, während statt dessen die umliegenden arabischen Völker von ihm als »Polytheisten«, also Vielgottglaubende bezeichnet wurden. Aber der christliche Glaube an die Dreifaltigkeit dieses Einen Gottes, die Trinität, machte ihm mit den Jahren immer mehr zu schaffen. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass die Christen mit ihrem Reden vom Vater, Sohn und Heiligem Geist wohl doch die gemeinsame Basis der Religionen seit Abraham verlassen hätten. Diese Einschätzung wurde im Koran festgehalten und wirkt bis heute fort. Sie prägt auch aktuell die Einstellung vieler Muslime zum Christentum.
Der Sonntag nach Pfingsten wird in der Kirche seit jeher als Sonntag der Dreifaltigkeit begangen. Diese Trinität bleibt ein Geheimnis - Christen sind der Überzeugung, dass sie diese Einsicht über das dreifaltige Wesen des Einen Gottes nicht erfunden haben, sondern statt dessen diesen Glauben als Selbstoffenbarung Gottes entgegen nahmen.
Auf jeden Fall bleibt die Aufgabe, auch heute Menschen davon zu überzeugen, dass Ein-Gott-Glaube und Dreifaltigkeit keinen Widerspruch darstellen. Jesus stand damals vor dieser Aufgabe, wir stehen heute davor. Das Nachdenken über Gott zwischen den Religionen darf nicht aufhören - es ist noch lange nicht alles selbstverständlich oder klar.
Dass Menschen heutiger Tage noch einer ganz anderen Vielgötterei huldigen, sollten wir jedoch nicht unerwähnt lassen. Denn wie viele von denen, die zwar von ihrem Glauben an den Einen Gott sprechen, leben dann aber tatsächlich so, dass sie entweder ihre Selbstentfaltung, ein Hobby wie den Fußball, das Geld oder irgendeine Weltanschauung zu einem konkurrierenden Nebengott erheben. Auch hier gilt für uns alle die Antwort Jesu: »HöreÉ, der Herr unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.« Die Frage nach den vielen Göttern bleibt für jeden Menschen immer aktuell.

Artikel vom 10.06.2006