12.06.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Entzückend nur nach vorne

Deutsches Defensiv-Department zeigt immer noch die alten Schwächen

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
München/Berlin (WB). Eines muss man der deutschen Fußballnationalmannschaft wirklich lassen: Langweilig wird's nie. Und weil das Auge immer mitspielt, kann es doch am 4:2-Sieg gegen Costa Rica so viel nicht zu mäkeln geben. Wann hat eine WM anlässlich ihrer Eröffnung so ein heiteres Toreschießen erlebt?
Immer wieder Paulo Wanchope: Jens Lehmann geriet mehr als einmal in höchste Not.

Ene mene miste, es rappelt in der Kiste. Welch ein Spektakel, was für ein Spaß! Nur nicht für alle. Das Defensiv-Department wusste hinterher genau, dass es nun wieder dran war. Zwei »Eier« von so einem Gegner - Philipp Lahm ahnte es schon: »Diese Tore werden jetzt wieder der Viererkette angehängt.« Der Linksverteidiger, einziges Mitglied des Abwehrquartetts mit exzellenter Note, wehrte sich mit dem Verweis auf das rechnerisch einwandfreie Endresultat: »Wir haben zwei Tore bekommen und vier geschossen. Wir müssen uns nicht dafür entschuldigen, gewonnen zu haben.«
Im Spiel agierte die Mannschaft wie ihr eigenes Abziehbild. Der WM-Auftakt glich schon sehr den ebenfalls in allen Richtungen treffsicheren Confed-Cup-Partien. Torfluten sind in Verbindung mit der DFB-Auswahl fast schon ein sicherer Tipp. Entzückend nach vorn, bedrückend weiter hinten: Dieses Konzept führt voller Elan in Richtung WM-Titel - bis einer von den »Dicken« Deutschland mit 6:5 aus dem Turnier befördert. Ene mene meck, und du bist weg.
Auch intern wird längst darüber nachgedacht, ob es nicht des Guten etwas zuviel ist. Die Diskussion um mehr Defensive, die Kapitän Michael Ballack und vor einem Jahr bereits Oliver Kahn anzettelten, bleibt aktuell und brisant. »Die Pässe in die Spitze wurden schon im Mittelfeld nicht unterbunden. Und die Viererkette steht zu hoch«, schilderte Lahm die Schwierigkeiten. Soll heißen: Von hinten aus wird reichlich weit aufgerückt. Wenn dann noch die Abseitsfalle auffliegt, wie es Arne Friedrich passierte, liegt schnell mal die Kugel im Kasten. Bundestrainer Jürgen Klinsmann möchte die erneut schwache Vorstellung des Berliners nicht dramatisieren: »Wir wussten, dass es ein Risiko war, nur einen Rechtsverteidiger mitzunehmen. Wir vertrauen Arne. Der Fehler ist vorher entstanden. Die Gegentore wurden intern schon auseinandergenommen.«
Den Fans ist das sowieso egal. Alles kein Problem, solange die Pannen nicht zur Pleite führen. 4:2, ein bunter Tor-Teller mit Glücksgefühlen und Adrenalinschüben. Wer hätte da einem zumindest freudetrunkenen Fan widersprechen wollen, der den Gewinn von drei Punkten auf den Punkt brachte: »Lieber zwei Gegentore von Costa Rica, als ein Abend mit Costa Cordalis.«
Für Deutschland zu sein, ist in diesen WM-Wochen angesagt, ohne gleich des Nationaleifers verdächtig zu sein. Dem tragen auch seine derzeit am meisten im Blickpunkt stehenden Bürger Rechnung, in dem sie bei der Nationalhymne die Arme übereinander legten. »Das war eine Idee, die den älteren Spielern in der Kabine kam«, erzählte Torsten Frings. Für Christoph Metzelder stellte dies »eine wunderbare Geste« dar, die als Demonstration des Zusammenstehens gedacht war: Wir spielen für ein großes Ziel, wir spielen für unser Land.
Republikweit ist steigendes Fußballfieber fast garantiert. Allerdings sollte die Mannschaft taktisch nicht die falschen Schlüsse daraus ziehen und sich locken lassen. Etwas mehr innere Sicherheit täte dem Land gut. Dann könnte auch die Prognose des Leverkuseners Bernd Schneider in Erfüllung gehen: »Wenn wir jetzt noch zu null spielen, werden wir nur schwer zu schlagen sein.«

Artikel vom 12.06.2006