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Naturidylle zwischen
einsamen Stränden
Die Jungferninseln bieten aber auch Geschichte mit bedeutenden Ereignissen
Keine Blume, geschweige denn eine Fahne schmückt das Grab von Lt. Colonel Chads, Präsident der Jungferninseln, der im Januar 1854 starb - nur ein verrosteter, krummer Metallzaun umsäumt den schlichten weißen Stein. Okay, das Grab eines Präsidenten bringt niemandem Geld in die Kasse - aber nur darum geht es auf Tortola.
Wie bei der wohlbeleibten Verkäuferin, die ihre T-Shirts für fünf Dollar annonciert. Als ich eines kaufen will, soll ich aber das Doppelte berappen. Meinen Hinweis auf das Fünf-Dollar-Schild quittiert die Frau mit dem Hinweis, das sei das falsche Schild - und holt aus dem Büro ein anderes. So ist's offensichtlich Brauch auf Tortola. Wenn die riesigen Kreuzfahrtschiffe mit amerikanischen Touristen im Hafen festmachen, werden die Preise kurzfristig verdoppelt. Es gilt, den schnellen Dollar zu machen und die Tagesbesucher möglichst effektiv auszuplündern. Und das auf einer Insel, die karibischen Charme nur mühsam in Form von Klischees pflegt.
So jungfräulich, wie der Name es verheißt, sind die Jungferninseln also nicht mehr. Die noble »Sea Cloud« läuft statt in die Bucht von Tortola in den North Sound der Nachbarinsel Virgin Gorda ein, und vom Deck der stolzen Viermastbark blickt man auf sanfte grüne Hügel, vor denen viele Yachten ankern. Wenig erinnert an die kriegerischen Zeiten der Vergangenheit: Es wird gesurft, geschwommen, Wasserski gelaufen. Dennoch ist der britische Teil der Inselgruppe weitaus ruhiger als die quirligen U.S. Virgin Islands. Das war nicht immer so, denn die Geschichte der Inselgruppe kennt durchaus bedeutende Ereignisse: Im North Sound sammelte Sir Francis Drake seine Flotte, eher er zum Angriff auf Puerto Rico blies. Bis heute legendär ist sein mit Goldschätzen reich gefülltes Schiff, auf dessen Planken er zum Ritter geschlagen wurde.
Heute bauen die reichen Amerikaner ihre Villen oberhalb der »Leverick Bay«, die 3000 Einheimischen wohnen in The Valley. Lawrence Rockefeller führte 1965 dort den Tourismus ein, als er in der Little Dix Bay ein Resort anlegen ließ und sogar extra einen Flugplatz baute. Den nutzt heute ein anderer Milliardär: Richard Branson schwebt oft ein, um seine Privatinsel Necker Island direkt vor Virgin Gorda zu besuchen. Im Schlepptau die Hollywood Prominenz von Oprah Winfrey bis Eddie Murphy, aber auch die Rolling Stones und andere Musikgrößen aus dem Virgin-Imperium.
Taxifahrer Eddie hat Branson schon oft erlebt - wenn er im Rock Café tanzen geht und Inhaber Dwight Flex ihm riesige Lobster grillt.
Eine Privatinsel zu haben, ist schön. Doch auch Necker Island kann nicht mit der Hauptattraktion von Virgin Gorda konkurrieren: The Baths nennt sich der Traumstrand, der von riesigen abgerundeten Felsen übersät ist. Durch einen Waldpfad steigt man in das Labyrinth aus Steinen hinab, badet entweder im offenen Meer oder in den bizarren Höhlen. Ein Wanderweg erschließt den Strand, wer sich sportlich betätigen und zugleich einen Blick über diverse karibische Inseln genießen will, der steigt auf den Gorda Peak hinauf, die höchste Erhebung der Insel.
Eine weitere Sehenswürdigkeit, die man nicht verpassen darf, sind die Reste der Kupfermine. Bis heute darf man dort nicht angeln, weil die Fische metallbelastet sind. Die bunten Steine darf man ebenfalls nicht mitnehmen - das Gebiet gilt als geschützter Nationalpark. Auf dem Weg kommt man an einer Mauer vorbei, die der East Side Gallery in Berlin ähnelt. Über mehr als 100 Meter hat Ragga Bob, das Insel-Original, die Wand eines Schulhofes mit Bildern über die Geschichte von Virgin Gorda verziert. Als Kunstmaler verdiente er jedoch so wenig, dass er auch noch einem profanen Malerjob nachgehen musste. Das brachte ihm immer noch nicht genug ein, also handelte er auch noch mit Falschgeld. Als die Geschichte aufflog, floh er Hals über Kopf und ist seither verschollen. Trotzdem sagt Eddie: »Ich bin heilfroh hier zu leben, wo es keine Kriminalität gibt - und wenn, dann wenigstens stilvolle Verbrechen. Aber mein Haus muss ich nicht abschließen, und der Zündschlüssel steckt auch immer im Auto.«
Am nächsten Tag segelt die »Sea Cloud« weiter nach Jost van Dyke. Nur 141 Einwohner, aber drei Berühmtheiten: Einer ist der »Painkiller«, denn dies ist die Insel, auf der der Teufelsdrink kreiert wurde. Dann ist da der traumschöne Strand »White Bay«, nur per Boot zu erreichen, und Foxy aus der »Foxys Beach Bar«, den jeder Segler kennt, der die bergig-kleine Insel angelaufen hat.
Namens-Pate des Eilands war ein holländischer Pirat. Elektrizität, Telefon und Autos gibt es auf Jost van Dyke erst seit kurzer Zeit, und stehengeblieben scheint diese sowieso zu sein zwischen den einsamen Stränden und den pittoresken Holzhäusern des Hafens und einzigen Ortes »Great Harbour«. Eine Naturidylle sind auch die Strände des Inselchens »Sandy Cay«, nur einen Sprung von Jost van Dyke entfernt, das ideal zum Schnorcheln, Schwimmen und Sonnenbaden ist. Die Insel Green Cay, fast komplett mit Strand umzogen, ist die einsame Insel schlechthin.
Thomas Albertsen

Artikel vom 17.06.2006