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Von Klaus Lükewille

Töne aus der
Studio-Tiefe

Die Fernsehsender und ihre Experten


War die Taktik falsch?
Tor - oder kein Tor?
Stand der wirklich abseits?
In den kommenden WM-Wochen werden Fragen über Fragen gestellt. Vielleicht ein paar wirklich wichtige, ganz sicher aber noch viel mehr nichtige.
Nächste Frage: Wer soll darauf antworten? Wer weiß alles?
In diesen Stunden höchster Ratlosigkeit können nur Experten helfen. Und deshalb haben die öffentlich-rechtlichen und die privaten Fernsehsender ganz groß eingekauft.
Fachleute. Kenner. Auch Könner? Man wird es sehen und hören.
Mit Günter Netzer haben die TV-Zuschauer ja schon seit Jahren das Vergnügen. Seine kritischen Steilpässe kommen aus der Tiefe des Studios. Was er sagt, stimmt fast immer alles. Wenn er nur nicht ein so fürchterlich staatstragendes Gesicht dazu machen würde. Es geht doch nur um Fußball, Herr Netzer, oder?
Aber vielleicht drückt die finstere Miene jetzt auch seine Sorge aus: Wie kann er bei der WM 2006 als ARD-Solist gegen die mächtige Konkurrenz bestehen?
Denn Netzer tritt als Einzelexperte auf. Die Rivalen vom ZDF rücken dagegen gleich mit einer strammen Viererkette an den Rasenrand: Franz Beckenbauer, Jürgen Klopp, Urs Meier. Und dazu noch der Einwurf von Ehrengast Pelé.
Sind die vom Zweiten nach dem Finale etwa die Ersten?
Moment, Moment, da ist Premiere aber auch noch mit im großen Spiel. Die Rechte für die Fußball-Bundesliga haben sie zwar nicht mehr, bei der Weltmeisterschaft jedoch dürften sie alle 64 Spiele live übertragen. Hier bieten sie gleich sieben Experten auf.
Masse oder Klasse? Abwarten.
Ottmar Hitzfeld, Otto Rehhagel, Lothar Matthäus, Christoph Daum, Stefan Effenberg und Giovane Elber kommen zu Wort. Da ist mindestens einer dabei, der ziemlich nerven kann, weil er ohne Punkt und Komma redet. Oder jetzt nicht mehr, Herr Matthäus?
Ein Tennisstar komplettiert die Premiere-Runde. Boris Becker ist als Reporter eingeteilt. Das könnte peinlich werden. Denn wie er da bisher »aufgeschlagen« hat, das waren noch keine Asse.
Die glaubt RTL präsentieren zu können. Immerhin haben sie Rudi Völler im Team, ein Pluspunkt. Aber dann? Pierre Littbarski und Olaf Thon. Kicker von gestern, die gern viel reden und wenig sagen.
Hier stürmen sie mit dem vierten Mann voll auf Ballhöhe. Reiner Calmund, oft eine quälende Quasselstrippe, gegen den die Ermittlungen wegen Untreue immer noch nicht eingestellt worden sind, spielt nicht nur den WM-Botschafter für Nordrhein-Westfalen, sondern auch den RTL-Experten. Ein dickes Ding, in jeder Beziehung.
Ganz so fett sind zwei weitere private Sport-Anbieter nicht im WM-Geschäft: Udo Lattek, Berti Vogts, Fredi Bobic und Mario Basler, dazu Moderator Thomas Helmer - das ist die »Mannschaft« des DSF. Eine ganz besondere Mischung: zwei vor Ball-Weisheit triefende Trainer und zwei freche Ex-Profis, die noch nie den Mund halten konnten. Aber wer schon keine WM-Spiele live senden darf, der muss eben andere Treffer landen.
Eurosport dagegen, auch ziemlich weit draußen vor allen Toren und bei der WM nur Drittverwerter, tritt mit zwei ausländischen Fußballehrern an, die wirklich wissen, wovon sie reden. Arsène Wenger und Gérard Houllier sind genau das, was so viele bei dieser Endrunde gern sein wollen: Experten.

Artikel vom 09.06.2006