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Ein Auftritt im Feindesland:
Lehmann hütet Kahns Kasten

Deutschlands neue Nummer 1 hat kein Problem mit dem Spielort München

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). Wie jeder Nationalspieler freut sich auch Jens Lehmann auf die WM im eigenen Land, speziell für ihn allerdings beinhaltet das Turnier einen Auftritt im Feindesland.

Als die Auftaktpartie nach München vergeben wurde, stand noch nicht fest, dass der Arsenal-Torhüter die Nummer 1 sein würde. Jetzt weiß er das und auch, was im Preis inbegriffen ist: Lehmann muss den frühen Abend des 9. Juni im Kahn-Kasten verbringen. Vor der Kulisse des Konkurrenten.
Alles kein Problem, Lehmann erwartet einen Mix der gesamten Republik: »Es werden Leute aus Westdeutschland, Ostdeutschland, Süddeutschland und Norddeutschland im Stadion sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein paar Münchener Fans die Begeisterung stören.« Eine leichte Restunsicherheit gibt es dennoch, sonst hätte Lehmann die Frage, wie sie ihnn in der Heimstätte des FC Bayern aufnehmen werden, nicht zuerst mit dem Eingeständnis seiner Unkenntnis beantwortet: »Ich weiß es nicht.« Eine ruhelose Nacht verursacht ihm das nicht.
Lehmann hat in seiner Laufbahn gelernt, alles auszublenden, was nicht unmittelbar mit dem Spiel zu tun hat. Dass nun eine ganz besondere Partie auf seinem Dienstplan steht, merkt er weniger an deren großer Bedeutung, sondern vielmehr an sich selbst. Lehmann kennt Lehmann, auch wenn er neutral formuliert: »Man ist mehr beim Physiotherapeuten und achtet auf jedes noch so kleine Wehwehchen. Man achtet darauf, seinen Schlaf zu bekommen, die Mittagspause einzuhalten und auf seine tägliche Routine.«
Mehr beschäftigt ihn jetzt nicht mehr, so kurz vor dem Anpfiff. Nach vier Turnieren als Bankmann schaffte Lehmann endlich den Aufstieg zur Nummer 1. Mit 36 Jahren bestreitet er morgen das erste WM-Spiel seines langen Torwartlebens. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.» Er will das auch nicht. Es stört. »Ich könnte sonst über viele Dinge nachdenken, die ich in meiner Karriere schon erlebt habe.«
An das Duell mit Kahn etwa. Was ist nicht alles über diese schwierige Arbeitsbeziehung geschrieben worden. Bei einem Gespräch wollten (oder sollten) sie Witterung aufnehmen, aber Lehmann gibt nicht preis, ob es mittlerweile zu einem solchen Kontakt unter den konkurrierenden Kasten-Kollegen gekommen ist. Beim Frühstück mit Olli vielleicht? »Ich werde hier keine Geschichtchen erzählen, wer mit wem spricht und wer mit wem nicht spricht und warum. Das ist nicht aktuell für mich.« Aktuell ist Costa Rica. Und nur Costa Rica. »Die wollen vor einem Weltpublikum zeigen, was sie können. Ob sie mit der Situation umgehen können? Ich glaube, da sind wir ihnen ein Stück voraus«, sagt Lehmann, der erwartet, dass die Deutschen besser wissen, worauf man sich in einer WM-Auftaktpartie einlässt.
Er selbst schöpft aus dem Fundus von 19 Profijahren, die ein buntes Programm zu bieten haben. Als junger Schlussmann bei Schalke kassierte er in Leverkusen mal drei Dinger in sieben Minuten. Trainer Berger wechselte ihn aus; noch in der Pause reiste Lehmann mit der S-Bahn nach Hause. Schon sechsmal ist er vom Platz geflogen; den Arbeitsplatz verlässt er ohnehin bei jeder Gelegenheit.
Die ist nicht immer günstig. Das bekannte Champions-League-Finalfiasko legte Lehmann weit hinten in seinen Gedanken ab. Dem aktuellen Abstecher in die Pampas (gegen Kolumbien), der sich als Irrlauf erwies, misst er keine Bedeutung bei: »Das hätte ich mir sparen sollen. Es war ein Fehler. Aber ich dachte, die Kolumbianer sind nicht so stark, und war unkonzentriert.« Ins WM-Repertoire nimmt er solche wilden Ritte nicht auf. »Ich kann versprechen: Das wird man von mir nicht sehen.« Denn für einen Ausflug hält Lehmann die Fußballweltmeisterschaft sicher nicht.

Artikel vom 08.06.2006