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Entspannung im Atomkonflikt

Iran soll bis Ende Juni auf Vorschläge antworten -ÊMerkel: »Riesige Chance«

Berlin/Moskau (Reuters). Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem Iran für Gespräche über den Atomkonflikt eine flexible Haltung der internationalen Gemeinschaft in Aussicht gestellt.

Sie betonte gestern den Spielraum, den die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland in ihrem Angebot zur Lösung des Konflikts gelassen hätten. Auch US-Präsident George W. Bush bekräftigte seine Bereitschaft, ein neues Kapitel in den Beziehungen zum Iran aufzuschlagen. Wie die deutsche rechnet auch die russische Regierung damit, dass die Islamische Republik bis Ende Juni auf das Maßnahmenpaket antwortet.
Angesichts der Entspannung in dem Konflikt mit dem viertgrößten Ölexporteur verbilligte sich der Energie-Rohstoff um mehr als einen halben Dollar pro Barrel.
»Das Angebot ist ein Angebot, um Verhandlungen aufzunehmen«, antwortete die Kanzlerin auf die Frage, ob die Vorschläge der internationalen Gemeinschaft verhandelbar seien. Voraussetzung sei zwar, dass der Iran wie gefordert seine Uran-Anreicherung als vertrauensbildende Maßnahme aussetze. Ansonsten sei das Angebot aber »weit und breit angelegt« und »eine riesige Chance«, sagte Merkel anlässlich eines Gesprächs mit EU-Chefdiplomat Javier Solana, dessen erste Station auf dem Rückweg aus dem Iran Berlin war. Merkel und Solana gaben keine Erklärung nach ihrem Treffen ab.
Solana hatte das international geschnürte Angebotspaket am Vortag in Teheran präsentiert und dabei überraschend positive Reaktionen der iranischen Führung geerntet. Der Maßnahmenkatalog umfasst Angebote wie offenbar eine Lockerung technologischer und wirtschaftlicher US-Sanktionen sowie die Lieferung von Atomtechnik. Ein westlicher Diplomat sagte gestern zudem, die Uran-Konversion, eine Vorstufe zur Anreicherung, werde dem Iran gestattet.
Im Gegenzug dafür soll sichergestellt werden, dass der Iran nicht an Atomwaffen arbeitet. Die Urananreicherung kann zivilen wie militärischen Zwecken dienen und verstärkt deswegen das Misstrauen der internationalen Gemeinschaft. Für den Fall, dass der Iran nicht auf das Angebot eingeht, umfasst das Paket auch Strafmaßnahmen. Einzelheiten sind nicht veröffentlicht worden.
Bush sagte über die iranische Reaktion, sie klinge wie ein positiver Schritt. »Wir werden sehen, ob die Iraner unser Angebot ernstnehmen«, fügte er hinzu. »Sie stehen nun vor der Entscheidung. Wir haben gesagt, die USA werden sich mit ihnen an einen Tisch setzen, sobald sie bereit sind, die Anreicherung auf nachweisbare Weise auszusetzen.«
Mit dem Angebot direkter Gespräche hatten die USA eine diplomatische Kehrtwende vollzogen und damit den Wünschen ihrer europäischen Partner sowie Chinas und Russlands Rechnung getragen. Die USA und der Iran unterhalten seit 27 Jahren keine Beziehungen mehr. Im Gegenzug wollen sich Diplomaten zufolge im UN-Sicherheitsrat nicht mehr gegen Sanktionen stellen, sollten Gespräche mit dem Iran scheitern.
Iranischen Angaben zufolge haben die USA mit ihren Partnern auch angeboten, Ersatzteile für die alternde Flugzeugflotte des Landes sowie landwirtschaftliche Technologie zu liefern. Beides würde die zunehmende Isolation des Landes lindern und käme der aufstrebenden Wirtschaft zugute.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow nannte weitere Einzelheiten: Solange Gespräche über das Maßnahmenpaket geführt werden, wird demnach der UN-Sicherheitsrat seine Diskussionen über den Konflikt aussetzen. Der Iran hatte sich mit allem Nachdruck gegen die Einschaltung des Gremiums gewehrt.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor übertriebenem Optimismus. Zugleich drängte er auf eine »zeitnahe Antwort« des Iran. Es dürfe nicht zu einem monatelangen Hin- und- Her-Verhandeln kommen.

Artikel vom 08.06.2006