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Leistung fällt nicht vom Himmel -ÊGerade Stärken muss man pflegen

Mannschaftsgeist - Besinnung auf eine alte deutsche Stärke
Von Horst Hennert

Horst Hennert, geb. 1943, studierte Germanistik, Philosophie und kath. Religion, ist seit 1971 Geschäftsführer der Fördergemeinschaft für Schulen in freier Trägerschaft und Herausgeber der pädagogischen Schriften »Gelbe Reihe«. In Berlin leitet er das Bildungszentrum Feldmark.


Der deutsche Fußball hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Die Mannschaften der oberen Ligen haben seit dem Bosman-Urteil von 1995, das die europaweite Arbeitserlaubnis für ausländische Spieler in allen deutschen Vereinen erstritt, ein internationales Gesicht bekommen. Es ist keine Seltenheit, dass nur noch ein oder zwei deutsche Spieler in einer Mannschaft auflaufen. Der Zwang zum Siegen kann jungen deutschen Talenten wenig Entwicklungszeit lassen; »fertige« ausländische Spieler sind zwar teuer, aber unmittelbar einsetzbar. Aber nur reiche Vereine können sich die Großen der internationalen Szene leisten. Denn die Spielergehälter sind in astronomische Höhen geklettert. Spielervermittler schießen wie die Pilze aus dem Boden. Die Zuschauer sind aggressiver geworden: fast jeden Samstag gibt es Hooligan-Probleme, die mit großem Polizeieinsatz in ihren Schranken gehalten werden müssen.

Seltener sieht man jugendliche Straßenfußballer- und wenn, dann sind es meist Ausländer, die sich auf einem Bolzplatz bis Einbruch der Dunkelheit bei jedem Wetter tummeln. Deutsche Jungstars laufen nur auf Rasen im neuesten Outfit auf, meist von bewundernden Eltern gebracht und manchmal schon von einem eigenen Manager behütet. In vielen Schulen steht Fußball nicht mehr auf der obersten Rangstufe; edlere Sportarten wie Tennis, Golf, neuerdings auch Scating, Skilaufen und Snowboard. erfreuen sich bei vielen Jugendlichen größerer Beliebtheit und gelten als cool.

Es mag zu denken geben, dass die bevorzugten Sportarten bei heutigen Jugendlichen unter dem Ein-Mann-Sport zu suchen sind. Mannschaftssportarten, in denen Deutschland stark aufgetrumpft hat (auch im Handball), haben an Attraktivität verloren. Es gilt nicht mehr »die Mannschaft ist der Star«, sondern der Einzelne. Einem Spieler, der sich als Star begreift, fällt es schwer, sich dem Team unterzuordnen, für die Mannschaft zu spielen, selbstlos die Bälle zu verteilen, den anderen den Torerfolg zu gönnen. Als Einzelkämpfer kann er die ganze Aufmerksamkeit auf seine Person lenken.

Unsere drei bisher errungenen Weltmeistertitel wurden in der internationalen Beurteilung vor allem den typisch deutschen Tugenden zugeschrieben: Kampfkraft, Einsatzwillen, Ausdauer, Teamgeist... Nie war es die größere Kreativität, wie sie den Mannschaften aus Ungarn (1954), Holland (1974), Argentinien (1990) und immer Brasilien bescheinigt wurde.

Schon immer wusste man um die erzieherische Komponente, die gerade dem Mannschaftssport eignet. Er fordert die Unterordnung um eines gemeinsamen Zieles willen; den anderen so stark zu machen, dass das schwächste Glied in der Kette nicht reißt; zu loben und zu ermuntern, um so alle mit einer positiven Stimmung mitzureißen; zu wissen, dass man nur gemeinsam stark ist. Wenige menschliche Erfahrungen zeigen so schnell, ob das »gemeinsam sind wir stark« zum Erfolg führt, nämlich bereits nach 90 Minuten. Diese Gemeinsamkeit konnte Sepp Herberger noch auf der Grundlage von »Elf Freunde müsst ihr sein« erstreben. Freundschaft, Kameradschaft unter den Spielern scheint es heute nur in rosigen Zeiten zu geben. Wie weit sie trägt, zeigt sich erst bei Niederlagen. Und da erleben wir allzu oft Zerstrittenheit. Viele Profis sprechen von einer Interessengemeinschaft, die bröckelt oder gar aufgekündigt wird, sobald sich der Erfolg nicht mehr einstellt.

»Freundschaft, Kameradschaft unter den Spielern scheint es heute nur in rosigen Zeiten zu geben. Wie weit sie trägt, zeigt sich erst bei Niederlagen.«
Erzieherisch auf das eigene Leben, auf den späteren Beruf, auf das Verhalten anderen gegenüber wirkt Fußball dann, wenn ein Trainer seine Spieler motivieren kann zu kämpfen, bis an die Schmerzgrenze zu gehen (Kampfkraft), auch dann weiterzulaufen, wenn die Beine den Dienst versagen, nicht aufzugeben, auch wenn es einmal nicht so gut läuft (Ausdauer), ein scheinbar aussichtsloses Spiel noch herumzureißen (Einsatzwillen), immer im Dienst der Mannschaft zu spielen, nicht selbst glänzen zu wollen (Teamgeist). Für diese erzieherische Aufgabe des Trainers lässt man ihm in den höheren Spielklassen kaum die Zeit; denn er darf nur auf den kurzfristigen Erfolg setzen, will er seinen Arbeitsplatz behalten. So wollen es die ungeschriebenen Gesetze des Millionengeschäfts Fußball.

Dass in vergangenen Tagen diese Tugenden den Deutschen allgemein und besonders sichtbar den nationalen Kickern nachgesagt wurden, mag nur zum Teil gestimmt haben, aber es entsprach dem Nachkriegsbild von der deutschen Wieder-Aufbau-Gesellschaft. Bei dieser Beurteilung ging man wie selbstverständlich davon aus, dass die »Tugenden der Deutschen« im Fußball besonders deutlich zutage treten, dass sie der deutschen Mentalität entsprechen und durch den Fußball gefördert werden, was bis zu einem gewissen Grade auch stimmen mag.

Eine andere Seite der gesamtdeutschen Gesellschaft hat in den letzten Jahren die Oberhand gewonnen: Leistung wurde schlecht geredet und Leistungsanforderungen als Repressionsmittel angesehen. Nur der Fußball wurde von dieser Haltung nie befallen, denn kein Zuschauer würde sich ein Fußballspiel mit Leistungsverweigerern ansehen (»Wir wollen euch kämpfen sehen« ist die mindeste Fan-Forderung selbst an verlierende Mannschaften.) Jeden Samstag müssen die Spieler auf dem Rasen die an sie gestellten Leistungserwartungen erfüllen, was besonders viele deutsche Spieler zu überfordern scheint. Sie sind dann »im Kopf blockiert« und »mental nicht gut drauf« oder sogar »psychisch behandlungsbedürftig«. (Jeder Bundesligaverein hat daher wie selbstverständlich einen psychologischen Berater oder sogar einen Psychiater eingestellt.)

Jürgen Klinsmann hingegen impft seiner Truppe immer wieder Optimismus, Spielfreude und positives Denken ein für das eine Ziel, dem sich alles unterordnen muss. Aber auch er, und besonders er ist zum Erfolg »verurteilt«. Je näher die Weltmeisterschaft rückte, umso größer wurde der Druck auf ihn. Denn er soll nicht nur den Titel holen (woran zwar »offiziell« nur noch wenige in typisch deutschem Defätismus glauben, es aber trotzdem erwarten), sondern mit der Spritze »Siegermentalität« auch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung Deutschlands einleiten. Und viele träumen mit banger Hoffnung und nie endender Sehnsucht davon, dass unter der Schlafdecke Deutschlands noch immer ein großer Siegeswille und die Fähigkeit zu großen Taten schlummert, die nur von einem großen Meister geweckt werden müssen. Gelingt »Klinsi« der große Wurf, könnte er sogar Bundeskanzler werden. Scheitert er, wird man es ihm nicht verzeihen.

Artikel vom 10.06.2006