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Zuwanderer stellen ein Fünftel
der Bevölkerung in Deutschland

»Kleine Volkszählung« erfasst erstmals Hintergrund der Herkunft

Von Basil Wegener
Berlin (dpa). Ohne Eruptionen, aber dennoch unaufhaltsam wandelt sich die deutsche Gesellschaft. Die meisten Menschen mit Kindern haben nach wie vor einen Trauschein - dennoch sinkt der Anteil dieser Traditionsfamilien immer weiter. Ohne Kinder aus Zuwandererfamilien sähe die deutsche »Alterspyramide« noch dünner ausl.

Es sind keine überraschenden Zahlen, die Johann Hahlen, Präsident des Statistischen Bundesamts, in Berlin vorträgt. Aber in ihrer unerbittlichen Kontinuität können sie Befürwortern eines traditionellen Familienbilds ebenso einen Schauer auf den Rücken jagen wie Bevölkerungsforschern, die sich um Kindermangel Sorgen machen.
Wie gravierend die Verschiebungen und Herausforderungen an die Politik sind, zeigt sich bei der Vorstellung der kleinen Volkszählung des Wiesbadener Statistikamts in diesem Jahr besonders deutlich. Denn erstmals legte Hahlen auch Zahlen zu Ausländern und ihren Kindern und Kindeskindern vor.
Deutschland »ist ein Zuwanderungsland«, sagt er. Hunderttausende Menschen kämen jährlich nach Deutschland, viele verließen das Land wieder - übrig bleibt aber ein Zuwachs von 100 000 im Jahr. Insgesamt 15,3 Millionen Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund leben zwischen Ostsee und Alpen.
Dem Mikrozensus zufolge lebten im vergangenen Jahr 15,3 Millionen Ausländer und Deutsche aus Einwandererfamilien in Deutschland, fast ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. Als Menschen mit Migrationshintergrund gelten zugewanderte, in Deutschland geborene und eingebürgerte Ausländer sowie Spätaussiedler und die Kinder von Ausländern und Spätaussiedlern. Eingebürgerte Ausländer und Spätaussiedler sind deutsche Staatsbürger.
Als Ausländer werden Zuwanderer ohne deutschen Pass bezeichnet. Für den Mikrozensus wurden Zuwanderer gezählt, die nach 1950 nach Deutschland kamen.
Die Mehrheit der Bürger mit Migrationshintergrund hat einen deutschen Pass. Die 8 Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund stellen 52 Prozent dieser Gruppe. In Ausländerstatistiken werden Deutsche mit Mitgrationshintergrund nicht erfasst. Die 7,3 Millionen Zuwanderer ohne deutschen Pass haben einen Anteil von knapp neun Prozent an der Gesamtbevölkerung.
Die größte Gruppe der Personen mit eigener Migrationserfahrung sind die zugewanderten Ausländer mit 5,6 Millionen, gefolgt von den 3 Millionen Eingebürgerten. Die drittgrößte Gruppe sind die Spätaussiedler mit 1,8 Millionen. Unter den Menschen mit Migrationshintergrund aber ohne eigene Migrationserfahrung stellen die 2,7 Millionen Deutschen die größte Gruppe. Dabei handelt es sich um Kinder von Eingebürgerten, Spätaussiedlern oder von Ausländern. Gerade angesichts wegbrechender Strukturen, in denen Deutschstämmige ihre Kinder groß ziehen, werden die Zuwanderer immer wichtiger.
Die Statistiker haben die berüchtigte deutsche Alterspyramide - die in den mittleren Jahrgängen immer dicker, bei den Jüngsten immer dünner wird - mit ihren Zuwanderungszahlen präzisiert. Ergebnis: Ohne Kinder von Deutschen mit Migrationshintergrund gäbe es noch viel weniger Nachwuchs in unserer Gesellschaft. Amtlich heißt es: »Der Rückgang der Bevölkerung vollzieht sich ausschließlich bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund.«
Was das für die Integrationspolitik heißt, liegt für Experten auf der Hand. Beispielsweise versagt das deutsche Schulsystem nach der jüngsten OECD-Studie wie kein anderes vergleichbarer Industrienationen bei der Förderung von Migrantenkindern. Die Schulleistungen von Zuwandererkindern werden mit Dauer des Aufenthaltes ihrer Familien in Deutschland sogar deutlich schlechter.

Artikel vom 07.06.2006