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Der Appell des
Präsidenten

Polens hausgemachte »T-Frage«

Gelsenkirchen (WB/klü). Die Polen bei der Weltmeisterschaft in Deutschland waren 1974 eine Attraktion. Sie spielten damals begeisternden Fußball und stürmten auf den dritten Platz. Im »kleinen Finale« besiegte die Elf um Kapitän Kazimierz Deyna den Titelverteidiger aus Brasilien mit 1:0.

Die Polen bei der WM in Deutschland 32 Jahre später haben einen strengen Trainer, der mit meist schlechter Laune die Stimmung drückt. Und einen Verbandspräsidenten, der seiner Auswahl nicht viel zutraut. Denn Midal Listkiewicz beurteilt die Klasse des Kaders so: »Das Aufgebot ist mit der 74er-Mannschaft nicht zu vergleichen. Damals hatten wir Könner wie Deyna, Lato, Gadocha und Gorgon auf dem Platz. Das Team, mit dem wir jetzt hier sind, kann uns eigentlich nur positiv überraschen.«
Eine Bewertung, die Pawel Janas nicht so gern hörte. Da verfinsterte sich seine Miene noch mehr. Was will der Boss? Schließlich hat der Trainer die Polen mit sechs Siegen und nur zwei Niederlagen (gegen England) locker in die Endrunde geführt. Die beginnt heute in Gelsenkirchen (21 Uhr im ZDF) mit dem Duell gegen Ecuador. Das Ziel ist klar: ein Sieg, sonst droht Polen wieder das schnelle Aus wie 2002.
Damals kassierten sie gleich zwei Niederlagen und durften nach der Vorrunde abreisen. Jetzt heißt die Richtung Achtelfinale, ein Erfolg gegen Ecuador wäre der wichtige und richtige Wegweiser. Janas ist überzeugt: »Wir müssen diese Partie gewinnen - und wir werden sie gewinnen.« Zweckoptimismus eines Realisten? Der Trainer hat selbstverständlich registriert, wie seine Mannschaft nach der Qualifikation an Qualität einbüßte. Dass er mit Torjäger Tomasz Frankowski und Schlussmann Jerzy Dudek zwei prominente Spieler zu Hause ließ, verbesserte die Stimmug im polnischen Lager nicht unbedingt.
Aber Janas, Typ autoritärer Sturkopf, stört das nicht. Er konterte die Kritik: »Ich entscheide.« Attacken in den Medien nimmt er gar nicht erst zur Kenntnis: »Ich schaue kein Fernsehen und lese keine Zeitungen.« Dann Janas ist ein sehr selbstbewusster Mann: »Ich glaube nur an mich.«
Und wie sehr glaubt der Trainer an seine Elf? Er traut ihr den Sprung in die nächste Runde zu. Mindestens. »Dann schauen wir weiter.« Aber vorher muss er mit ansehen, wie sich das Problem im Kasten entwickelt. Denn Janas ist ja für diese ungelöste T-Frage mitverantwortlich - schließlich hat er Routinier Dudek nicht mitgenommen. Dass dann seine neu erwählte Nummer 1 gegen Kolumbien peinlich patzte, war Pech für Pawel. Tomasz Kuszczak kann nach der Fliegenfänger-Vorführung eigentlich nicht zwischen die Pfosten gestellt werden.
Vieles spricht dafür, dass Artur Boruc heute in Gelsenkirchen diese Aufgabe übernehmen wird. Aber hier hat der Trainer das letzte Wort. Und Janas - Dudek wird ihm das nie vergessen - war schon immer für Überraschungen gut. Fest gesetzt sind die Bundesliga-Legionäre Jacek Krzynowek (demnächst Hannover 96) und »Ebi« Smolarek (Dortmund).
Spieler mit Erfahrung in Deutschland. Und hier beginnt 32 Jahre nach den Gala-Auftritten eine neue WM-Tour. Der Mann, der die Auswahl damals lenkte, kann die WM 2006 nicht mehr miterleben: Der legendäre Trainer Kaziermierz Gorski ist vor Wochen im Alter von 85 Jahren gestorben. Präsident Listkiewicz appelliert an das Team: »Wir haben die Pflicht, ein gutes Turnier zu spielen - Gorski zu Ehren.«

Artikel vom 09.06.2006