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»Schon die Aufstellung der Spieler in Keilform ist ein sinnlicher Genuss.«
Ror Wolf

Leitartikel
Was der Fußball alles kann

Anpfiff - es ist unser
aller Spiel!


Von Rolf Dressler
Anpfiff. Es ist so weit. Deutschland und der riesengroße Rest der Welt begeben sich für exakt einen Monat in den Ausnahmezustand. Vom 9. Juni bis zum 9. Juli dreht sich (fast) alles nur noch um das Runde, das ins Eckige befördert werden muss. Ob per Fuß, Kopf, Knie oder auf sonst eine möglichst artistische Weise, nur den Spielregeln sollte es genügen. Ansonsten: »Hauptsache«, wie unser großer Kabarettist Hanns-Dieter Hüsch zu sagen pflegt.
Die Stimmung steigt, die Vorfreude ist riesengroß - das wissen sogar die Statistiker zu untermauern: Nach einer Studie der Universität Hohenheim befürworten 82 Prozent der Deutschen die Titelkämpfe. »Die Zahl der WM-Gegner ist noch einmal auf sechs Prozent gesunken«, zu diesem Schluss kommt der Initiator der Langzeitstudie, Professor Markus Voeth.
Schlechte Zeiten also für alle, denen der Kick keinen Kick gibt. In der Tat ist es in diesen Tagen schwierig, ja beinahe unmöglich, der WM auszuweichen. Kein Brötchen ohne Ballack-Bildchen, keine Salami ohne Schweinsteiger-Schriftzug, kein Schokoriegel ohne Lehmann-Lachen. Zu recht hat DFB-Präsident Theo Zwanziger angemahnt, die Kommerzialisierung des Fußballspiels dürfte nicht ungezügelt weitergehen. Auch der Weltfußballverband FIFA hat Mäßigung gelobt, gleich nach der WM soll das Thema auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Doch Vermarktungsfrust hin, Kritik an der Geschäftemacherei her - Deutschland hat Lust auf die WM, und die Deutschen tun gut mit dieser Einstellung. Eine bessere Gelegenheit, sich der Welt zu präsentieren, werden wir in absehbarer Zukunft nicht bekommen. Wir sollten uns alle bemühen, gute Gastgeber zu sein.
Gute Gastgeber, die allen sportlichen Fragezeichen zum Trotz auch selbstbewusst genug sind, an ihre Mannschaft zu glauben und es auch zu zeigen. Schon im Vorfeld dieser »WM 2006« hatte beispielsweise die Stuttgarter Spezialfabrik Dommer sagenhafte 1000 Prozent mehr Deutschland-Fähnchen und -Fahnen ans fußballbegeisterte Fan-Publikum verkauft als für das Weltmeisterschaftsturnier-Spektakel 2002 im fernen Japan und Südkorea. Wie befand doch die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« ganz treffend: So viel Schwarz-Rot-Gold wie diesmal sei hierzulande seit dem legendären Jahr 1848 nicht zu erleben gewesen.
Sogar gleich »250 gute Gründe, unser Land heute zu lieben«, versammelt der Verleger und Herausgeber Florian Langenscheidt in seinem lesens- und sehenswerten 530-Seiten-Buch mit dem sinnfälligen Titel »Das Beste an Deutschland«. Das alles sollte uns gerade recht kommen vor jenem Mega-Spektakel, das just jetzt anhebt in unseren heimischen Kicker-Arenen.
Wie heißt es doch so poesievoll verklärend in Ror Wolfs »Montagen, Collagen und Sonetten«: »Fußball, Du wohlgeordnetes Durcheinander auf grüner Wiese, Du planvolles Gedränge, Du kraftvolles Jagen, Du roheitsfreier Kampf - Du gehörst zu den schönsten Genüssen...!«

Artikel vom 09.06.2006