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»Weltmeister der Komödianten«
Seit 14 Jahren ist Andrey Jigalov aus Paderborn ein Star in der europäischen Zirkus-, Varieté- und Showszene
Ernsthaft möchte Andrey Nikolajewitsch Zhigalov, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, auch wahrgenommen werden.
Der Spaßmacher träumt zum Beispiel von einer Karriere vor und hinter der Kamera, als Schauspieler und Regisseur ernsthafter Filme.
Dabei ist ihm die Rolle des Clowns eigentlich auf den Leib geschneidert. Andrey Jigalov braucht dafür weder ein Harlekinkostüm noch Schminke. Seine pantomimischen Qualitäten sprechen für sich. »Man muss das Spaßmachen lieben«, bringt der 40-Jährige sein Erfolgsgeheimnis auf eine einfache Formel. »Du musst spüren, was das Publikum will, dich selbst auslachen können und andere parodieren. Und ich liebe es, die Leute zum Lachen zu bringen.«
Seit 14 Jahren ist Jigalov ein Star in der europäischen Zirkus-, Varieté- und Showszene. 2003 gewann er den begehrten »Silbernen Clown« beim Internationalen Circus-Festival von Monte Carlo. Dieses Ereignis hat für Artisten und Künstler den gleichen Stellenwert wie die »Tour de France« für Radprofis, die wuchtige Statue gilt als Circus-Oscar. Sie machte Jigalov zum Superstar. Berlin, Zürich, Wien, Moskau, Stockholm oder London - die bedeutendsten Veranstaltungsorte Europas reißen sich um den schmächtigen, nur 1,68 großen Entertainer aus der westfälischen Bischofstadt.
Beim 30. Festival in Monaco standen unlängst mit dem legendären Popov, Larible, Fumagalli und eben Jigalov die vier weltbesten Clowns erstmals gemeinsam in der Manege, um vor den Augen von Fürst Albert und Prinzessin Stephanie ihre Kunst zu demonstrieren. Sie liebe einfach diese unnachahmliche Art von Jigalov, bekannte anschließend Prinzessin Stephanie, nachdem sie sich die vom Lachen mit Tränen gefüllten Augen trocken gewischt hatte.
Dabei verkörpert Andrey Jigalov eigentlich stets den geborenen Verlierer. Klein und ungeschickt, scheinbar vertrottelt, aber bauernschlau, versucht er sich immer wieder vergebens an dem nie Erreichbaren.
Mit dem Mikrofon vollführt er einen Ringkampf, sein Singen gerät zum Krähen, all seine hinterlistigen Streiche erweisen sich jedes Mal als Bumerang. Es siegen stets die anderen. Bei der Hasenjagd treibt am Ende der Hase seinen Jäger vor sich her. Der Versuch, seinen doppelt so großen smarten Partner Csaba beim Flötenspiel nass zu machen, endet für ihn selbst mit einer Dusche.
Jigalov und Csaba verkörpern die moderne Version von Pat und Patachon - groß und füllig gegen klein und mickrig. Der eine im Smoking, der andere in einer viel zu großen Pluderhose.
Doch der kleine Fiesling und nervige Störenfried verliert nie den Lebensmut, sieht sich stets auf der »bright side« und spreizt selbst als Geschlagener noch hurtig Mittel- und Zeigefinger zum »Victory-V« - es ist längst zu Jigalovs Markenzeichen geworden. Und das Publikum lacht über den Grimassen schneidenden Looser - nie schadenfroh, sondern immer mit Anteilnahme. Denn er ist ein Mensch wie du und ich, der personifizierte »Otto Normalverbraucher«, der deutsche Durchschnittsbürger. Auf der Straße würde ihn kaum jemand wahrnehmen.
Bernhard Paul, Gründer und Direktor des Kultzirkus Roncalli, der Jigalov seit Jahren unter Vertrag hat, charakterisiert seinen Lieblingsclown treffend: »Er ist fast normal angezogen, geht ungeschminkt in die Manege und macht eigentlich nichts. Aber wie er das macht, da liegen die Leute vor Lachen am Boden.«
Komikerkollege Dieter Nuhr bezeichnet Jigalov als »einzigen Pantomimen, der auch spricht«. Dabei kommt der Komiker - von seinem Gekrächze abgesehen - fast ohne Stimme aus. Die Mimik spricht für sich. Mit gleichermaßen sparsamen wie originellen Gesten verschafft er sich Präsenz im Rampenlicht.
Zirkuskenner sehen Jigalov als Kontrapunkt zum klassischen Clown und zum poetischen Pic. »Mein Vorbild ist Charlie Chaplin«, sagt Jigalov selbst. »Einen vielseitigeren Künstler als ihn hat es kaum gegeben.«
Vor elf Jahren kam der russische Humorist nach Deutschland. Im Zirkus Flic-Flac lernte er seine Ehefrau Anja (37) kennen. Die Paderbornerin arbeitete dort als Lehrerin in der Zirkusschule. Mit den Kindern Rebecca (7) und Niclas (6) sowie Beagle »Bobby« bewohnt die Familie eine Doppelhaushälfte in Paderborn.
Zwischen den vielen Auszeichnungen und Erinnerungsfotos hängt auch ein Paar roter Boxhandschuhe an der Wand. »Die hat mir Wladimir Klitschko geschenkt«, erzählt Jigalov. »Damit ist er Weltmeister geworden.«
»Weltmeister der Komödianten« könnte sich auch der Wahl-Paderborner nennen. »Leider bin ich viel zu selten zu Hause«, bedauert Jigalov. Aber wer so gut im Geschäft ist, wie er, der ist eben ständig auf Achse.
In einer WM-Show ist Jigalov demnächst mit zwei Fußball-Nummern zu sehen: »Die Angst vor dem Elfmeter« und »Rebellion gegen den Trainer«.
In Köln dreht er im Herbst seinen ersten deutschen Fernsehfilm. Andrey Jigalov spielt darin einen Deutsch-Russen, der aus dem Knast entlassen wird.
Doch seine Leidenschaft ist und bleibt die Clownerie. Und in seiner Paraderolle lieben die Menschen Andrey Jigalov.
Hubertus Hartmann

Artikel vom 10.06.2006