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Mit dem menschlichen
Auge kaum zu erfassen
Die Dimensionen des Yangzi-Staudamms verschlagen Besuchern den Atem
Sandouping. Aus dem Lautsprecher klingt heroische Musik, unterbrochen von einer lieblich säuselnden Frauenstimme, die Propaganda verbreitet. Der Blick schweift über Springbrunnen und Wasserkaskaden, Spazierwege werden von bunten Fähnchen gesäumt.
Und da hinten steht er, so gewaltig, dass nur der vordere Teil zu sehen ist und der Rest im milchigen Mix aus Dunst und Gegenlicht entschwindet: Der Drei-Schluchten-Staudamm des Yangzi bei der Kleinstadt Sandouping. Unvorstellbare 18 Milliarden Euro werden dort in der zentralchinesischen Provinz Hubei verbaut. Die Dimensionen sind so gewaltig, dass es einem nicht nur den Atem verschlägt, sondern höchsten Respekt vor der chinesischen Ingenieurskunst abnötigt: 185 Meter hoch und 2,3 Kilometer lang ist der Damm, der an seinem Fuß 130 Meter breit ist und es an der Krone noch auf stolze 18 Meter bringt. Das alles ist mit dem menschlichen Auge kaum zu erfassen. Erst wenn man Vergleiche bemüht, werden die Größenverhältnisse klar. Der Kölner Dom beispielsweise ist mehr als 20 Meter niedriger als der Damm.
Sieht man auf der Mauer einen Bus fahren, so wirkt er wie eine winzige Miniatur. Menschen sind auf die Distanz kaum noch auszumachen, und selbst die Riesenkräne wirken wie aus dem Baukasten.
Die Besichtigung des Staudamms ist nicht ohne weiteres möglich. Zu wichtig sind die Sicherheitsaspekte rund um das derzeit größte Bauprojekt der Erde. Überträgt man das Schreckens-Szenario des 11. Septembers 2001 vom World Trade Center auf den Staudamm, so würde der Absturz eines Flugzeugs zwar kaum mehr als ein paar Kratzer an der gigantischen Betonwand verursachen - aber tief sitzt die Furcht der Menschen, eine mehr als 100 Meter hohe Flutwelle würde sich durch die Xiling-Schlucht wälzen, die Stadt Yichang verschlingen und sich dann über die Ebene gen Wuhan wälzen.
Also geht es mit dem Bus vorbei an diversen militärischen Kontrollposten auf einen hoch über der Schlucht gelegenen Aussichtspunkt. Die weitaus meisten Gäste sind im Rahmen der Yangzi-Kreuzfahrt angereist. Unterhalb des Dammes ist die Xiling-Schlucht mit steilen Felsen und Terrassenfeldern noch in ihrer ganzen dramatischen Enge zu bewundern. Doch bei Sandouping wurde ein ganzer Berg abgetragen, um aus ihm das Baumaterial für den Damm zu gewinnen. Eine fünfstufige Doppelschleuse bewältigt den Schiffsverkehr, im kommenden Jahrzehnt soll ein Express-Schiffslift den Höhenunterschied in einem Zug bewältigen.
Am Aussichtspunkt befindet sich ein Infocenter, welches die technischen Daten, aber noch mehr Souvenirs bereithält. Und anhand eines Modells lässt sich erkennen, was der Dunst verschleiert.
Laut quäkt chinesische Propaganda aus den Lautsprechern -Êden einheimischen Besuchern hämmert eine feste Frauenstimme die offizielle Darstellung des Projektes ein. Was die Ausländer denken, ist den Chinesen egal -Êenglischsprachige Informationen sind daher dürftig.
Kritiker des Projektes sagen, schon jetzt habe sich das Klima der Region verändert. Die aufgestauten Wassermassen sorgen für höhere Luftfeuchtigkeit. Die Berfürworter führen ins Feld, der Damm schütze die YangziEbene vor verheerenden Hochwasserfluten, sichere die Wasser- und Energieversorgung und verbessere die Bedingungen für die Schifffahrt. 10 000-Tonnen-Schiffe können nun bis nach Chongqing fahren. In 40 Milliarden Kubikmetern Wasser versanken 30 000 Hektar Ackerland, 13 Großstädte und 140 Kleinstädte mit 657 Betrieben. 1,3 Millionen Menschen wurden zwangsumgesiedelt. Thomas Albertsen

Artikel vom 10.06.2006