13.07.2006
|
Und so fädelte er ihren ersten Vertrag ein und warnte sie gleichzeitig vor dem falschen Pomp des Filmgeschäfts. Ihre Mutter zog nach Hollywood, um ein Auge auf sie zu haben; ihr Vater blieb in New York, gründete die Belle-Tier Corporation und kümmerte sich um die Verwaltung ihrer Einkünfte. Sie lebte innerhalb der von ihm festgelegten Parameter, fuhr einen kleinen Wagen, nähte ihre Kleider selbst, und alles lief bestens, bis sie mit Cassini durchbrannte und ihre Mutter angewidert nach New York zurückflog, wo sie in eine Affäre zwischen ihrem Mann und ihrer besten Freundin platzte, die sie für die Zeit ihrer Abwesenheit gebeten hatte, »sich ein bisschen um ihn zu kümmern«. Die beste Freundin war die Tochter eines Eisenbahnunternehmers, die eigenes Vermögen besaß und die Howard Tierney sen. für seinen Ausweg aus der Schuldenfalle hielt. Tatsächlich bestand diese Beziehung schon seit einiger Zeit. Tatsächlich hatte er seine junge Familie nur deshalb auf jene schicksalhafte Amerikareise geschickt, damit er den Sommer allein mit ihr in New York verbringen konnte. Und nun, kaum dass er seine Tochter bei der Presse angeschwärzt hatte, gab er selbst bekannt, dass er sich von Genes Mutter scheiden lassen und deren beste Freundin heiraten wolle.
Es wäre untertrieben zu behaupten, Gene sei desillusioniert gewesen über die Entdeckung, dass ihr Vater auch nur ein Mensch war. Doch das war noch nicht alles. Als sie nämlich vom Studio einen neuen Vertrag forderte, damit ihre Gagen auf ihr eigenes Konto anstatt auf das der Firma ihres Vaters flossen, verklagte er sie wegen Vertragsbruchs auf fünfzigtausend Dollar Schadensersatz. Und als sie den Prozess gewonnen hatte und zum ersten Mal ihren Kontostand bei der Belle-Tier Corporation zu Gesicht bekam - also eine Abrechnung über all ihr in Hollywood verdientes, brav an den Vater überwiesenes und von ihm mit drakonischer Härte verwaltetes Geld -, da war da nichts, Zero, nullkommanix. Das Konto war leer.
Sie sah ihn nur noch zwei Mal wieder. Einmal stand sie unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln und erkannte ihn nicht, das andere Mal besuchte er sie in ihrem Haus und sagte zum Abschied: »Tja, Gene, schätze, wir haben beide bekommen, was wir wollten.«
D
Man könnte mit guten Argumenten behaupten, dass es die Männer waren - die Liebhaber, der Vater, die Regisseure, Produzenten und Kritiker -, die ihr Leben zerstörten. Doch wenn man genauer hinschaute, wirkten sie eher wie Agenten einer dunkleren, umfassenderen Zerstörungsmacht. Es war, als erregte ihre heroische Schönheit den Zorn der Götter, und diese reagierten mit entsprechend prometheischer Bestrafung. Am Ende fragte sie sich, ob man sie, wäre ihr Leben ein Film gewesen, für ihren eigenen Part engagiert hätte. Das Mädchen hinter der Schönheit, das nette Mädchen aus Connecticut, musste feststellen, das es vom Studiogelände direkt in eine griechische Tragödie geraten war.
I
Aber gegen meinen Willen hörte ich die Echos eines anderen Lebens: in Genes Mutter Belle, in der Belle-Tier Corporation, die ihr Vater bis auf den letzten Penny ausgesaugt hatte, in A Bell for Adano und in Belle Starr, aus dem sie sich den Namen der Heldin für ihre Flucht mit Cassini nach Las Vegas entliehen hatte. Ich fragte mich, ob sie in ihren Träumen und Halluzinationen jemals an ihre Tochter gedacht hatte, die fünfzig Jahre später ebenfalls in einem Krankenhauszimmer sitzen und sich fragen würde, wer sie überhaupt war É Ich kam schließlich zu dem Schluss, dass es zuvorkommender sei, das alles zu vergessen. Besser, sie kehrte zurück ins Halbdunkel der Nachtfilmprogramme, ins Halbdunkel verstaubter Trödelläden, wo einsame Männer mit zu viel Zeit nach verstaubten Fotos kramten. Ich packte meine Notizen in eine Schuhschachtel und schob diese unter den Davenport-Sekretär in meinem Zimmer.
»Sie gehen einfach so auseinander?«
»Ja, glaub schon.«
»Was soll denn das für ein Schluss sein?«
»Weiß nicht, Charlie. Vielleicht ist ihm nichts Besseres eingefallen.«
Die Amaurot Players traten nie wieder auf. Die Papiere waren nie unterzeichnet worden, und die persönliche Assistentin mit der lavendelfarbenen Jacke hatte Harry nach der Beerdigung beiseite genommen und ihm erklärt, dass Telsinor aus der Partnerschaft aussteige. Das sei weder eine Schuldzuweisung noch ein Urteil, sagte sie, aber das Unternehmen sei schließlich seinen Aktionären verpflichtet, und in den Augen der Aktionäre stünden die jüngsten Ereignisse eben nicht für den Geist von jugendlicher Frische, Veränderung und Kommunikation, den Telsinor repräsentiere.
Anfangs wurde noch darüber geredet, sich nach anderen Sponsoren umzusehen, aber das gab sich schnell. Niemand war mehr mit dem Herzen dabei, und schon bald ging jeder seiner Wege. Harry verfasste eine Art Erklärung, in der er das Theater als elitäre Kunstform bezeichnete und das Internet als einziges Medium, das in der Lage sei, wahrhaft revolutionäre Ideen zum Ausdruck zu bringen. Er bekam eine Stelle als Werbetexter für die Snickers-Website, und meines Wissen kam Der verrostete Traktor nie auf die Bühne.
Mirela schien der Unfall besonders mitgenommen zu haben. Wochenlang verbarrikadierte sie sich in ihrem Zimmer; sie wollte nicht mit Harry sprechen, und die Verlobung wurde stillschweigend vergessen. Wenig später zog sie aus. Wohin, wusste ich nicht. Mrs P wollte nicht über sie sprechen. Ich habe sie nie wiedergesehen, zumindest nicht in natura.
Wiederum nur kurze Zeit später wurden Vuks und Zorans Asylanträge abgelehnt. Das frühere Jugoslawien wurde von der irischen Regierung nicht mehr als hinreichend gefährlicher Ort erachtet, um ihnen weiteres Bleiberecht im Land zu gewähren; als Nächstes erfuhren wir, dass sie zusammen mit Mrs P zurück nach Kroatien gehen würden, was uns ein wenig überstürzt vorkam. In Wahrheit war das Einbürgerungsproblem nur eine Ausrede gewesen. Seit dem Tag ihrer Ankunft in Irland hatte sich Mrs P danach gesehnt, wieder nach Hause zurückzukehren; die »jüngsten Ereignisse« hatten sie in ihrem Wunsch nur bestärkt.
»Für sie spielt es keine Rolle, dass von unserem Haus nichts mehr da ist«, sagte Vuk. »Sie denkt immer nur an meinen Vater, der damals verschwunden ist; sie will in seiner Nähe sein.«
»Und Mirela?«, fragte ich. »Geht sie mit?«
»Ach ja, Mirela«, seufzte er. »Vielleicht hat sie Recht, vielleicht ist es besser, hier zu bleiben und alles zu vergessen. Aber Mama will unbedingt zurück.« Er tippte sich an den Kopf und grinste. »Wir gehen mit und passen auf, dass sie nicht völlig überschnappt.«
I
Artikel vom 13.07.2006