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Als sie sich nach ihrer märchenhaften Entdeckung auf dem Warner-Studiogelände während jener Amerikareise mit Pat, Howard jr. und ihrer Mutter dazu entschloss, Schauspielerin zu werden, so geschah das in der Absicht, der Familie zu helfen, ihrem Vater wieder zu jener Stellung zu verhelfen, die er einmal innegehabt hatte.
Und so fädelte er ihren ersten Vertrag ein und warnte sie gleichzeitig vor dem falschen Pomp des Filmgeschäfts. Ihre Mutter zog nach Hollywood, um ein Auge auf sie zu haben; ihr Vater blieb in New York, gründete die Belle-Tier Corporation und kümmerte sich um die Verwaltung ihrer Einkünfte. Sie lebte innerhalb der von ihm festgelegten Parameter, fuhr einen kleinen Wagen, nähte ihre Kleider selbst, und alles lief bestens, bis sie mit Cassini durchbrannte und ihre Mutter angewidert nach New York zurückflog, wo sie in eine Affäre zwischen ihrem Mann und ihrer besten Freundin platzte, die sie für die Zeit ihrer Abwesenheit gebeten hatte, »sich ein bisschen um ihn zu kümmern«. Die beste Freundin war die Tochter eines Eisenbahnunternehmers, die eigenes Vermögen besaß und die Howard Tierney sen. für seinen Ausweg aus der Schuldenfalle hielt. Tatsächlich bestand diese Beziehung schon seit einiger Zeit. Tatsächlich hatte er seine junge Familie nur deshalb auf jene schicksalhafte Amerikareise geschickt, damit er den Sommer allein mit ihr in New York verbringen konnte. Und nun, kaum dass er seine Tochter bei der Presse angeschwärzt hatte, gab er selbst bekannt, dass er sich von Genes Mutter scheiden lassen und deren beste Freundin heiraten wolle.
Es wäre untertrieben zu behaupten, Gene sei desillusioniert gewesen über die Entdeckung, dass ihr Vater auch nur ein Mensch war. Doch das war noch nicht alles. Als sie nämlich vom Studio einen neuen Vertrag forderte, damit ihre Gagen auf ihr eigenes Konto anstatt auf das der Firma ihres Vaters flossen, verklagte er sie wegen Vertragsbruchs auf fünfzigtausend Dollar Schadensersatz. Und als sie den Prozess gewonnen hatte und zum ersten Mal ihren Kontostand bei der Belle-Tier Corporation zu Gesicht bekam - also eine Abrechnung über all ihr in Hollywood verdientes, brav an den Vater überwiesenes und von ihm mit drakonischer Härte verwaltetes Geld -, da war da nichts, Zero, nullkommanix. Das Konto war leer.
Sie sah ihn nur noch zwei Mal wieder. Einmal stand sie unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln und erkannte ihn nicht, das andere Mal besuchte er sie in ihrem Haus und sagte zum Abschied: »Tja, Gene, schätze, wir haben beide bekommen, was wir wollten.«

D
eshalb die ununterbrochene Serie von Millionären. Es war ein Tauschhandel: Sie setzte ihre Schönheit ein und bekam dafür- ganz gleich, wie die Männer sie auch sonst betrogen - die Gewissheit, nie mehr eine derartige Entwürdigung miterleben zu müssen. Nie mehr würde sie mit ansehen müssen, wie der Mann das Hausmädchen entließ oder Stück für Stück das Kristallservice verkaufte oder für den schlimmsten Fall eine Pistole bei sich trug. Was auch sonst passieren mochte, sie hätte immer die Sicherheit, sie hätte immer genügend Geld für ihre eigenen Krankenhausrechnungen und die ihrer Tochter.
Man könnte mit guten Argumenten behaupten, dass es die Männer waren - die Liebhaber, der Vater, die Regisseure, Produzenten und Kritiker -, die ihr Leben zerstörten. Doch wenn man genauer hinschaute, wirkten sie eher wie Agenten einer dunkleren, umfassenderen Zerstörungsmacht. Es war, als erregte ihre heroische Schönheit den Zorn der Götter, und diese reagierten mit entsprechend prometheischer Bestrafung. Am Ende fragte sie sich, ob man sie, wäre ihr Leben ein Film gewesen, für ihren eigenen Part engagiert hätte. Das Mädchen hinter der Schönheit, das nette Mädchen aus Connecticut, musste feststellen, das es vom Studiogelände direkt in eine griechische Tragödie geraten war.

I
ch saß zwischen den Uniformen in der höhlenartigen Lagerhalle und versuchte, nicht daran zu denken. Ich versuchte, mich auf das Gute zu konzentrieren: auf die Oscar-Nominierung für Leave Her to Heaven, in dem sie eine fröstelnde Darbietung von Eifersucht, Geisteskrankheit und Anomie gab; oder die Premiere von The RazorÕs Edge in New York, der ersten großen Premiere nach dem Zweiten Weltkrieg, bei der sie in einem schwarzen Tüllkleid vor tausenden von Fans über den roten Teppich schritt É
Aber gegen meinen Willen hörte ich die Echos eines anderen Lebens: in Genes Mutter Belle, in der Belle-Tier Corporation, die ihr Vater bis auf den letzten Penny ausgesaugt hatte, in A Bell for Adano und in Belle Starr, aus dem sie sich den Namen der Heldin für ihre Flucht mit Cassini nach Las Vegas entliehen hatte. Ich fragte mich, ob sie in ihren Träumen und Halluzinationen jemals an ihre Tochter gedacht hatte, die fünfzig Jahre später ebenfalls in einem Krankenhauszimmer sitzen und sich fragen würde, wer sie überhaupt war É Ich kam schließlich zu dem Schluss, dass es zuvorkommender sei, das alles zu vergessen. Besser, sie kehrte zurück ins Halbdunkel der Nachtfilmprogramme, ins Halbdunkel verstaubter Trödelläden, wo einsame Männer mit zu viel Zeit nach verstaubten Fotos kramten. Ich packte meine Notizen in eine Schuhschachtel und schob diese unter den Davenport-Sekretär in meinem Zimmer.

Einmal fragte ich Frank, ob er noch wüsste, wie Der Kirschgarten ausgehe. Er überlegte eine Zeit lang und sagte dann, dass die Personen, soweit er sich erinnere, einfach auseinander gingen.
»Sie gehen einfach so auseinander?«
»Ja, glaub schon.«
»Was soll denn das für ein Schluss sein?«
»Weiß nicht, Charlie. Vielleicht ist ihm nichts Besseres eingefallen.«
Die Amaurot Players traten nie wieder auf. Die Papiere waren nie unterzeichnet worden, und die persönliche Assistentin mit der lavendelfarbenen Jacke hatte Harry nach der Beerdigung beiseite genommen und ihm erklärt, dass Telsinor aus der Partnerschaft aussteige. Das sei weder eine Schuldzuweisung noch ein Urteil, sagte sie, aber das Unternehmen sei schließlich seinen Aktionären verpflichtet, und in den Augen der Aktionäre stünden die jüngsten Ereignisse eben nicht für den Geist von jugendlicher Frische, Veränderung und Kommunikation, den Telsinor repräsentiere.
Anfangs wurde noch darüber geredet, sich nach anderen Sponsoren umzusehen, aber das gab sich schnell. Niemand war mehr mit dem Herzen dabei, und schon bald ging jeder seiner Wege. Harry verfasste eine Art Erklärung, in der er das Theater als elitäre Kunstform bezeichnete und das Internet als einziges Medium, das in der Lage sei, wahrhaft revolutionäre Ideen zum Ausdruck zu bringen. Er bekam eine Stelle als Werbetexter für die Snickers-Website, und meines Wissen kam Der verrostete Traktor nie auf die Bühne.
Mirela schien der Unfall besonders mitgenommen zu haben. Wochenlang verbarrikadierte sie sich in ihrem Zimmer; sie wollte nicht mit Harry sprechen, und die Verlobung wurde stillschweigend vergessen. Wenig später zog sie aus. Wohin, wusste ich nicht. Mrs P wollte nicht über sie sprechen. Ich habe sie nie wiedergesehen, zumindest nicht in natura.
Wiederum nur kurze Zeit später wurden Vuks und Zorans Asylanträge abgelehnt. Das frühere Jugoslawien wurde von der irischen Regierung nicht mehr als hinreichend gefährlicher Ort erachtet, um ihnen weiteres Bleiberecht im Land zu gewähren; als Nächstes erfuhren wir, dass sie zusammen mit Mrs P zurück nach Kroatien gehen würden, was uns ein wenig überstürzt vorkam. In Wahrheit war das Einbürgerungsproblem nur eine Ausrede gewesen. Seit dem Tag ihrer Ankunft in Irland hatte sich Mrs P danach gesehnt, wieder nach Hause zurückzukehren; die »jüngsten Ereignisse« hatten sie in ihrem Wunsch nur bestärkt.
»Für sie spielt es keine Rolle, dass von unserem Haus nichts mehr da ist«, sagte Vuk. »Sie denkt immer nur an meinen Vater, der damals verschwunden ist; sie will in seiner Nähe sein.«
»Und Mirela?«, fragte ich. »Geht sie mit?«
»Ach ja, Mirela«, seufzte er. »Vielleicht hat sie Recht, vielleicht ist es besser, hier zu bleiben und alles zu vergessen. Aber Mama will unbedingt zurück.« Er tippte sich an den Kopf und grinste. »Wir gehen mit und passen auf, dass sie nicht völlig überschnappt.«

I
ch wusste, dass Mutter sich einsam fühlte so ganz allein im Haus. Ich hatte sie bedrängt, wieder jemanden einzustellen, aber sie wollte nichts davon hören. Tatsächlich war ich mir nie sicher, inwieweit sie meine Besuche überhaupt wahrnahm. Sie begnügte sich mit ein oder zwei Räumen und überließ den Rest dem durchs Haus streichenden Wind. Manchmal kam ich, und sie saß vor einem kalten Kamin, ein Glas in der Hand und überall kalte Asche auf dem Boden. Dann redeten wir, oder vielmehr hörte ich zu, während sie ausnahmslos über die alten Zeiten redete: das Trinity College, den Jagdball, über ihre und Vaters Hauptrollen in dieser oder jener Produktion. Manchmal versuchte ich das Gespräch auf Bel zu lenken, aber sie konnte oder wollte nicht darüber sprechen, jedenfalls konnte ich den Schleier ihrer wehmütigen Erinnerungen nicht durchdringen. Nur einmal, als ich sie direkt nach dem Abend der Schulaufführung fragte, schien sich ein Loch in den Spinnweben aufzutun.


(wird fortgesetzt)

Artikel vom 13.07.2006