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Sie waren so durcheinander, dass sie erst gar nicht mit der Arbeit anfingen, sondern sich zu uns in die Küche setzten. Sie wussten nichts von Thompsons Tod oder der Anfechtung seines Testaments, gegen die Olivier sich nicht gewehrt hatte. Sie schüttelten den Kopf, als ich sie aufklärte. »Auch wenn der Bursche das Haus nicht verkauft hätte, Mr H., spielt gar keine Rolle. Die Bude musste sowieso irgendwann abgerissen werden, bisschen Funkenflug, und der Kasten wär in Flammen aufgegangen wie eine Streichholzschachtel. Sie wissen ja, wie das ist mit diesen alten Häusern. Wenn man da neue Kabel verlegen will, muss man so viel aufreißen, das lohnt sich gar nicht. Gleich abreißen und neu bauen ist auf lange Sicht billiger. Kein Grund, sich aufzuregen.«
Das neue Objekt hörte auf den Namen Romanov Arbour: fünf Luxusresidenzen mit Fitnessraum und Sauna, jede nach einem russischen Schriftsteller benannt - Puschkin, Tolstoi, Gogol und so weiter. Sie waren schon vor Baubeginn zu Rekordpreisen verkauft worden.
»Computerbranche, Mr H.«, sagten die Bauarbeiter. »Diese Typen brauchen bloß Elektroschutzzaun hören und dann noch einen Namen, der sich irgendwie ausländisch anhört, und schon gibtÕs kein Halten mehr, dann zahlen die jeden Preis.« Den Bauarbeitern gefiel das auch nicht, aber wie sie selbst gesagt hatten, man durfte sich über so was nicht groß aufregen. Vor allem als Bauarbeiter, vor allem in Dublin. Außerdem war das ihr letzter Auftrag. Sie hatten genug Geld beiseite gelegt, um endgültig aus der Tretmühle auszusteigen.
»Aussteigen?«, sagte ich.
»Mexiko«, sagten sie. An Neujahr würden sie samt ihrer Ausrüstung auswandern und sich einer Truppe anschließen, die im Dschungel, in den Bergen von Chiapas, ihren eigenen Staat gegründet habe. Der Anführer trüge so eine schwarze Sturmhaube, die er nie absetze. »Er sagt, das ist ein Spiegel der Gesichter der Entrechteten«, sagten die Bauarbeiter.
»Muss ziemlich stickig sein unter dem Ding«, sagte ich. »Ich meine, im Dschungel und so.«
»Einer muss es ja machen«, sagten sie und kletterten in ihre Bulldozer. »So long, Mr H. Viva la revolución!«

Ich hatte Bonetown immer nur als vorübergehende Lösung betrachtet. Doch je länger ich blieb, desto mehr machte mir der Gedanke Kummer, nicht mit Frank zusammen zu wohnen. Das hatte nichts damit zu tun, was er sagte, und schon gar nicht damit, was er tat, es war die einfache Tatsache seiner Anwesenheit, die mich beruhigte. Irgendwie sorgte er dafür, dass die Dinge im Lot blieben. Er war wie eine tragende Wand in einer Wohnung.
Und außerdem erschien es mir auch irgendwie logisch, dass ich mich jetzt wieder inmitten all des Gerümpels befand, das andere Leute aus ihren verpfuschten Leben entfernt hatten. Also schaffte ich mit Franks Lieferwagen auch das Piano von Amaurot nach Bonetown, quetschte es ins Wohnzimmer und stümperte abends nach der Arbeit an Bruchstücken von Melodien herum, die mir gerade einfielen oder die ich vielleicht von früher kannte: von Bels Schallplatten vielleicht, von diesem Dylan oder dieser Frau mit der verschnörkelten Stimme, der mit dem Lied über den Geschirrspüler und die Kaffeemaschine. Und während ich klimperte, hämmerte Droyd, dem Frank die Grundbegriffe im Spenglern beibrachte, eine Hundehütte für An Evening of Long Goodbyes zusammen und hängte Laura Blumenbilder in Holzrahmen von Habitat an die Wand oder durchforstete Franks Tagesausbeute nach Schätzen, die farblich zu dem passten, was sie sich für die Wohnung vorstellte. Und unser Patriarch Frank saß leise schnarchend vor den mit ausgeschaltetem Ton laufenden Nachrichten, und draußen unterm Fenster dealten die Dealer und drückten die Junkies. Eines Tages zog ich vor der Haustür Bels Lippenstift, den ich ihr nie zurückgegeben hatte, aus der Tasche und ergänzte das Graffiti um ein leuchtend rotes C.
»charm the homeless«, las eine schrille Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen Jungen in einem schmuddeligen Pullover. Ich brauchte eine Sekunde, bis ich ihn ohne Einkaufswagen und Komplizen erkannte. Bevor ich ihn fragen konnte, wo sie sich die ganze Zeit herumgetrieben hätten, war er schon weggelaufen.
Ich hatte den Job in der Lagerhalle von Franks Kumpel angenommen. Ich arbeitete in der Nachtschicht, von zwei bis halb elf, und stellte zusammen, was am nächsten Morgen abgeholt wurde. Die Lagerhalle war das Auslieferungszentrum einer Firma, die Uniformen herstellte. Sie wurden in Afrika produziert, dann nach Irland verschifft und von hier an verschiedene Orte überall im Land geliefert. Meine Aufgabe war es, die einzelnen Lieferungen zusammenzustellen. Mit einem langen Haken nahm ich den Bügel mit dem betreffenden Teil von einer der Stangen, die bis unter die Decke reichten, verpackte die Sachen in Kartons, die ich schon vorher bereitgestellt hatte, und hakte Namen und Adressen auf den dreifach ausgefertigten Bestellscheinen ab. Der einzige andere Arbeiter war ein Taubstummer namens Rosco, der mich im Allgemeinen in Ruhe ließ. Es war friedlich in den Gängen voller leerer Hosen und Jacken - wie in einem Museum, dachte ich, einem Museum der Gegenwart. Normalerweise war ich gegen neun fertig. Ich wischte den Boden, stellte ein paar Dutzend Kartons für den nächsten Tag bereit und zog mich dann zu einem Stuhl und wackeligen Schreibtisch ans Ende des Krankenschwesternganges zurück. Dort, versteckt zwischen steifen weißen Röcken und Kitteln, begann ich zu schreiben.

An Heiligabend 1958, einen Tag, bevor sie nach vierjähriger Abwesenheit nach Hollywood zurückkehren wollte, erlitt Gene Tierney ihren verheerendsten Zusammenbruch. Ihr war es gut gegangen, sie hatte sich bei ihrer Mutter in Connecticut glänzend erholt. Unter dem Motto »Die Wiedergeburt eines Stars« und »Schön, dich wiederzusehen, du schöne Wilde« hatten Life und Time Artikel über sie gebracht. Doch am Abend vor der Abreise war sie ohne jede Vorwarnung völlig ausgerastet. Statt in Kalifornien wachte sie - wie Dorothy nach ihrer Rückkehr aus Oz - in Kansas wieder auf, in der Menninger Clinic, ihrer dritten und letzten Anstalt. Der Chefarzt glaubte nicht an die Elektroschocktherapie. Stattdessen ermutigte er sie, das zu tun, was sie wollte; und es stellte sich heraus, dass sie stricken wollte. Sie strickte Decken und Kissen, sie strickte Schals, Kopftücher und bodenlange Kleider. Monat um Monat strickte und strickte sie und fand so allmählich wieder zu sich.

A
ls sie schließlich 1962 nach Hollywood zurückkehrte, existierte das Studiosystem, das sie erschaffen hatte, schon lange nicht mehr, und wegen ihrer Krankengeschichte fand sich keine Versicherungsgesellschaft, die das Risiko von Projekten mit ihr abdecken wollte. Otto Preminger, ihr Regisseur bei Laura und Whirlpool, zwei ihrer besten Filme, rettete sie: Er drohte seinen Produzenten, die Arbeiten an einem Film hinzuschmeißen, wenn sie keine Rolle bekäme, Versicherung hin oder her. Sie bekam die Rolle, und mit dem Kurzauftritt in Advise and Consent hatte sie ihren noch bestehenden Vertrag mit Fox erfüllt. Danach zog sie sich nach Houston zurück, heiratete einen Millionär und setzte nie wieder einen Fuß in eine Anstalt.
Die Ärzte mutmaßten, ihre Probleme wären möglicherweise nie zutage getreten, wenn sie nicht Schauspielerin geworden wäre. Sie sei als Kind erster Kreise aufgewachsen und jetzt in diese Kreise zurückgekehrt: Nur weil sie vor die Kamera getreten sei, sei alles außer Kontrolle geraten. Meiner Meinung nach traf das nicht den Kern der Sache.
Da waren erstens die Männer. »Für ein schönes, intelligentes Mädchen hast du dir eine bemerkenswerte Kollektion von Idioten zugelegt«, sagt Dana Andrews in Laura zu ihr. Sie hatte immer eine Schwäche für den aristokratischen Typ gehabt, für den enterbten russischen Grafen, den Präsidentschaftskandidaten, den jetsettenden Milliardär oder für Typen wie Howard Hughes, bis der mit seinem Flugzeug auf einer Straße in Beverly Hills eine Bruchlandung baute. Sie alle wollten sie aus dem gleichen Grund wie die Studios: wegen ihrer überirdischen Schönheit. Und wie für die Studios, so formte, veränderte und komponierte sie diese Schönheit präzise nach deren Wünschen, bis von ihr selbst nichts mehr übrig war.
Diese Beziehungen waren jedoch nur Variationen über ein Thema, das schon lange zuvor von ihrem Vater Howard Tierney sen. vorgegeben worden war. Gene hatte ihn vergöttert. Zweifellos war ihr Vater eine unwiderstehliche Persönlichkeit gewesen: ein eiserner Moralist, der sie jeden Sonntag zur Kirche brachte; ein Finanzgenie, der seiner Familie zwei Häuser baute, der ihnen die Mitgliedschaft im besten Countryclub von Connecticut besorgte, der sie mit Bediensteten, Pferd und Boot ausstattete, und der seine Tochter in das gleiche Schweizer Internat schickte, das auch Marlene Dietrichs Tochter und die spätere Frau eines Maharadschas zu seinen Schülerinnen zählte.

I
n den dreißiger Jahren musste sie mit ansehen, wie der vergötterte Vater zu einem Mann schrumpfte, dem Schulden und Wirtschaftskrise so zusetzten, dass er sich angewöhnte, immer eine Pistole mit sich herumzutragen, um sich, käme es zum Schlimmsten, erschießen und damit seiner Familie wenigstens die Lebensversicherung retten zu können. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 12.07.2006