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»Das Fatale ist, dass die meisten Politiker ihr Familienbild kaum noch aus dem Leben sondern mehr aus den Medien beziehen.«

Leitartikel
Familie

Feindbild
oder
Leitbild?


Von Jürgen Liminski
Warum denken wir bei dem Wort Kind zuerst an Betreuung und nicht an Spaß, Lebensfreude? Warum denken wir bei dem Wort Familie zuerst an Verarmung, Elterngeld, Problemfall und nicht an Geborgenheit, Verlässlichkeit und Glück? Warum denken wir bei dem Wort Erziehung zuerst an Schule, Kindergarten, Heim und nicht an Eltern und Liebe? Weil der öffentliche Diskurs über Familie, Kinder und Erziehung mit seinen Zahlen und Statistiken diese Lebenswirklichkeit verzerrt und eine Schein-Objektivität vorgibt, die im Einzelfall keinen interessiert.
Welchen persönlichen Nutzen kann man etwa aus den neuen Zahlen des Mikrozensus über das Leben in Gemeinschaft, sei es Familie oder WG, ziehen? Keinen. Und dennoch sind sie für die Politik von Belang. Denn die Politik muß wissen, wie die Trends in der Gesellschaft verlaufen, um nicht an der Wirklichkeit vorbei zu handeln. So ist es gut zu wissen, dass neun von zehn Paaren Ehepaare sind und dass knapp dreiviertel der Familien aus Ehepaaren besteht, in deren Haushalten wiederum fast zwei Drittel der minderjährigen Kinder aufwachsen.
Wer daraus ableitet, dass die traditionelle Familie ihrem Ende zugehe, der sollte das Ende ihrer Geschichte erst mal abwarten. Auch hier gilt: Persönlich mag das Ende die eigene Lebenswirklichkeit sein, und das trifft überdurchschnittlich in Politik und Medien zu (mehr als 60 Prozent der Medienleute haben keine Kinder), aber wir haben es hier mit einem dauerhaften Phänomen zu tun, das Soziologen als »Koexistenz traditioneller und alternativer Lebensformen« bezeichnen. Sie ist in pluralistischen Gesellschaften normal. Nicht normal ist, dass die Politik die Wirklichkeit der Mehrheit, also der traditionellen Familien, links liegen lässt.
Eine Allensbach-Umfrage zeigt auf, dass die Verzerrung der Wirklichkeit vor allem in der Politik und in den Medien stattfindet, nicht aber in den Köpfen der kleinen Leute. Auf die Frage, was ist für Sie am wichtigsten, antworten drei von vier Befragten »die Familie«.Wo hört man das noch in der Politik? In Politik und Medien ist Familie eben eher ein Feindbild, man lebt, wie man fernsieht, man zappt sich durch. Im wirklichen Leben aber ist Familie noch Leitbild.
Natürlich gibt es Scheidungen, aber die Zahl der Ehen, die halten, ist immer noch fast doppelt so hoch. Natürlich gibt es Trennungen und Lebensschicksale und niemand sollte sich befugt fühlen, den ersten Stein auf sie zu werfen. Aber diese Schicksale sollten auch nicht als repräsentativ für die gesamte Gesellschaft gelten.
Das Fatale ist, dass die meisten Politiker ihr Familienbild kaum noch aus dem Leben sondern mehr aus den Medien beziehen. Das Verdienst der Allensbach-Studie und vor allem des »Forums Familie stark machen«, das diese Studie in Auftrag gegeben hat, ist es, dieses verzerrte Bild wieder zurechtzurücken.

Artikel vom 07.06.2006