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Versöhnliche Töne bei den Sudetendeutschen

Stoiber sieht in Prag Aufweichung starrer Positionen

Nürnberg/Dinkelsbühl (dpa). Nach jahrzehntelangem Streit zwischen den Sudetendeutschen und der tschechischen Regierung wegen der Vertriebenenfrage deutet sich eine Entspannung des Verhältnisses an.Edmund Stoiber: Benes-Dekrete bleiben Barriere.

Beim 57. sudetendeutschen Tag in Nürnberg bescheinigte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) am Sonntag Prag eine »Aufweichung starrer Positionen«. Versöhnliche Töne bestimmten an Pfingsten auch den Heimattag der Siebenbürger Sachsen im fränkischen Dinkelsbühl. Der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Eberhard Sinner (CSU), sagte, Rumänien habe »im Umgang mit der deutschen Minderheit schon viel Vorbildliches geleistet«.
Stoiber machte in Nürnberg deutlich, dass er in der umstrittenen Vertriebenenfrage auch bei der künftigen tschechischen Regierung auf positive Signale setze. Es gebe bereits einen »neuen Ton«, sagte er. »Ich hoffe sehr, dass die neue tschechische Regierung diese neue Linie fortführt.« Es wäre ein historischer Durchbruch, wenn nach 60 Jahren Vertreibung der Dialog auf eine neue Stufe gehoben würde. Er selbst stehe für diesen Dialog zur Verfügung.
Auch der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Johann Böhm, räumte ein: »In Prag deutet sich jetzt ein Wandel in der Frage der Vertreibung an.« Er wies unter anderem darauf hin, dass in dem gerade zu Ende gegangenen Wahlkampf kein Politiker der etablierten Parteien mit antideutschen Ressentiments argumentiert habe. Böhm zerstreute zugleich tschechische Befürchtungen, bei einer Aussöhnung könnte eine Rückkehrwelle vieler Sudetendeutscher einsetzen. Von den Vertriebenen lebe nur noch ein kleiner Teil. Stoiber betonte zugleich, es gebe im deutsch- tschechischen Verhältnis noch immer »Barrieren«, wie etwa die so genannten Benes-Dekrete. Hier müsse darüber geredet werden, was nach 60 Jahren Vertreibung machbar sei. Eine materielle Wiedergutmachung an den Vertriebenen sei sicher nicht möglich. »Machbar ist aber eine moralische Restitution.« Das bedeute, den Sudetendeutschen, die vor 60 Jahren rechtlos aus Böhmen ausgestoßen wurden, die volle Würde als Bürger Böhmens zurückzugeben. Die Dekrete des früheren tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes hatten nach dem Zweiten Weltkrieg die Grundlage für die Vertreibung der Sudetendeutschen aus Böhmen und Mähren gebildet.
Stoiber kritisierte auch das vor 60 Jahren verabschiedete tschechische Straffreistellungsgesetz, das alle im Zusammenhang mit der Vertreibung der Deutschen begangenen Straftaten amnestiert hat. »Die Aufhebung dieses Gesetzes zum 60. Jahrestag am 8. Mai hätte nichts gekostet, aber große moralische Wirkung gehabt«, sagte er. »Probleme wegdrücken und unter den Teppich kehren, das ist rückwärts gewandt. Ich will geschehenes Unrecht heilen, keine billigen Schlussstriche ziehen«.
Die Lage der deutschen Minderheit in Rumänen hat sich nach Einschätzung der bayerischen Staatsregierung in den vergangenen Jahren verbessert. Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner, berichtete, die Deutschen in Rumänien genössen inzwischen großes Vertrauen bei der rumänischen Bevölkerung. Diese zeige die Wahl eines Deutschen zum Bürgermeister von Hermannstadt mit einem Stimmenanteil von 88 Prozent, obwohl dort nur zwei Prozent Deutschstämmige lebten.

Artikel vom 06.06.2006