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Heiße Begrüßung - nur Scolari friert

Fast 23 000 Menschen feiern Ankunft und erstes öffentliches Training der Selecção

Von Dirk Schuster
und Wolfgang Wotke
Gütersloh (WB). »Figo hat gewunken. Wahnsinn!« Für Diego Mendes hatte sich die weite Anreise gelohnt. Aus Hamburg war der 18 Jahre alte Portugiese am Sonntag nach Marienfeld gekommen, um hier den Mannschaftsbus mit dem Nationalteam an Bord zu empfangen. Und mit Mendes 10 000 andere Menschen. Gestern beim öffentlichen Training waren es sogar noch zweieinhalbtausend mehr.

Marienfeld und der Heidewald: Sonntag und Montag waren der Harsewinkeler Stadtteil und das Gütersloher Stadion getaucht in ein rot-grünes Farbenmeer. Die Superstars der Selecção dagegen trugen bei ihrer von 1500 Fans begleiteten Landung um 16.05 Uhr auf dem Flughafen Münster/Osnabrück dunkle Anzüge, darunter weiße Hemden. Einheitslook war angesagt - doch nicht jedem stand die weiße Krawatte so gut wie Luis Figo. Dazu die schwarze Sonnenbrille. Dabei hätte der Mittelfeldspieler von Inter Mailand gar keinen UV-Schutz gebraucht. Denn erst als der rote Mannschaftsbus mit seinen tief getönten Scheiben eindreiviertel Stunden später in Marienfeld eintraf, lachte die Sonne über der portugiesischen Nationalmannschaft.
Gestrahlt haben auch die fast 10 000 Fußballfreunde, die ihr Team am Quartier in Marienfeld willkommen hießen. Links und rechts der Zufahrtsstraße kreischende Fans, sogar in die Bäume waren ein paar ganz wagemutige mit der Hoffnung auf beste Sicht geklettert. Von einer Polizei-Eskorte wurde der Bus bis direkt vor das Hotel Klosterpforte geleitet. Als die Mannschaft hier um 17.40 Uhr eintraf, stand Marienfeld Kopf. Die Straßen rund ums Hotel waren dicht, wer mit dem Pkw unterwegs war und mit Fußball nichts am Hut hatte, musste eine Umleitung in Kauf nehmen, um ans Ziel zu kommen.
Doch gemosert wurde nicht, jeder hatte Verständnis. Und wer bis jetzt noch nicht mit dem WM-Virus infiziert war, ließ sich gern anstecken. »Eigentlich interessiere ich mich nicht für Fußball. Aber bei so einem Ereignis kann man ja gar nicht anders«, sprach Birgit Thiesbrummel aus Verl vielen Ostwestfalen aus der Seele.
»Ich bin überrascht, dass so viele Menschen gekommen sind. Und ich bin gleichzeitig überschwänglich glücklich, dass alles so prima und friedlich über die Bühne geht«, sagte Luiz Felipe Scolari. Portugals brasilianischer Trainer war der einzige, der nach der Ankunft am Hotel noch mal vor die Klosterpforte trat. »Hier passt alles«, fügte Scolari hinzu, »jetzt könnte es nur noch etwas wärmer werden«.
Scolari fühlt sich zu Hause, Reinhold Frie ist es in seinem eigenen Hotel erst wieder in ein paar Wochen. Die FIFA hat das Hausrecht. Frie braucht ebenso wie seine Frau Birgit einen Spezialausweis, um hinein zu gelangen »Auf einem bestimmten Hotelvorhof dürfen noch nicht einmal mehr meine drei Kinder spielen«, schmunzelte der Hotelchef.
Gestern mischte sich Frie unter die 12 500 Fans, die zum ersten öffentlichen Training der Selecção in das Gütersloher Heidewaldstadion gekommen waren. Ein ausgedehntes Aufwärmprogramm, dann kam der Ball ins Spiel. Luiz Felipe Scolari wollte schließlich auch, dass den vielen Fans etwas geboten wird, obwohl für die meisten Anhänger die Übungsinhalte sowieso eher Nebensache waren. Sie wollten die Stars sehen in ihren grünen Trainings-Outfits. Während viele Portugiesinnen bei jeder Ballberührung ihrer Lieblinge die Namen Ronaldo, Deco oder Tiago kreischten, hatte Frie nur Augen für Luis Figo. »Bei dessen Dehnübungen hätte ich mir alle Knochen gebrochen«, sagte er.
Doch für Portugal geht es immerhin um den WM-Titel. Und wer erfolgreich sein will, muss nun mal leiden. Außerdem: In seinem Hotelbett wird Luis Figo ganz bestimmt Erholung finden. Denn im Gegensatz zu Reinhold Frie hat der Fußballstar ja freien Zutritt zur Klosterpforte.

Artikel vom 06.06.2006