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Salz-Geschmack von
Tränen auf den Lippen

Yolande Moreaus Erstling »Wenn die Flut kommt«

Von Susanne Schmetkamp
Hamburg (dpa). Es sei mächtig wie die Lust und salzig wie die Tränen: das Meer. So schwärmt die Schauspielerin Yolande Moreau.

Wenn es sich bewegt - »quand la mere monte« - verwischt es alle Spuren. »Quand la mere monte«, zu Deutsch: »Wenn die Flut kommt«, ist nicht nur der Titel eines populären Chansons von Raoul de Godewaersvelde in Nordfrankreich. Moreau und ihr Kollege Gilles Porte haben es auch zum Titel- und Ideengeber ihres Regiedebüts gemacht. Herausgekommen ist ein Film über Liebe und Träume, ein Film ohne große Handlung, dafür aber mit viel Gespür für seine Figuren. Am 8. Juni läuft er in den Kinos an.
Irène, gespielt von der Autorin und Regisseurin des Films, Yolande Moreau, ist Bühnenschauspielerin. Mit ihrem satirischen Ein-Frau-Stück »Eine schmutzige Geschichte« tourt sie durch die kleinen Theater im Norden Frankreichs. Skurril verkleidet spielt sie eine Frau, die ihren Liebhaber umbringt. Dargestellt wird dieser Liebhaber, im Stück »Küken« genannt, von einem spontan ausgewählten Gast aus dem Publikum.
In einem der Provinznester trifft Irène auf den Belgier Dries (Wim Willaert), der sich mehr als einmal als »Küken« zur Verfügung stellt und gar nicht mehr von Irènes Seite weicht. Stattdessen tourt er bald einfach mit ihr mit. In der Zeit bis die Flut kommt, bis also alles wieder weggewischt wird, erleben die beiden eine liebevolle Romanze. Für Irène bleibt es die ganze Zeit über ein Traum, Urlaub vom Alltag. Ihre Realität ist bei ihrem Ehemann und ihrem Kind.
Diese Verwischung von Wirklichkeit und Fiktion ist in »Wenn die Flut kommt« sowohl vor als auch hinter den Kulissen zentral: Tatsächlich tourte die Schauspielerin Moreau in den 80er und 90er Jahren mit jener Einpersonenshow durch Frankreich. Sie traf Gilles Porte, die beiden arbeiteten fünf Jahre lang an Drehbüchern.
Die Übergänge im Film sind fließend: Das Publikum in den Theatern ist authentisch, Moreaus Auftritte für den Film wurden live mitgeschnitten. Zwischen den Theaterszenen entwickelt sich die Liebesgeschichte zwischen Dries und Irène. Den Rahmen bildet die raue Landschaft Nordfrankreichs.
So trivial wie die Geschichte klingt, ist sie auch. Wie in so vielen Debüts, passiert auch hier nicht besonders viel, der Zuschauer weiß die ganze Zeit, worauf es hinausläuft. Dennoch gelingt es, die Spannkraft zu halten und nicht in Banalität abzurutschen. Auch das Spiel beider Hauptdarsteller ist sympathisch: Willaert spielt gekonnt den spontanen, aber unsicheren Dries, der sich an Irène klammert. Sie ist der Fels der Brandung: eine ruhige, ausgeglichene Künstlerin, die zwar träumt, aber dabei realistisch bleibt.
Das Regieduo und die Schauspieler erhielten für »Wenn die Flut kommt« mehrere Preise, darunter den »César«. Der Film ist rührend, manchmal ein wenig kitschig, aber wer den salzigen Geschmack von Tränen auf den Lippen mag, ist hier genau richtig.

Artikel vom 03.06.2006