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»Klage aus Ostwestfalen kommt durchaus gelegen« 

Heute im Gespräch: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD)

Bielefeld (WB). Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat angekündigt, schon bald ein Bundesgesetz zum Jugendstrafvollzug vorzulegen. Den Weg dafür hatten Juristen aus Ostwestfalen bereitet. Ein Interview von Reinhard Brockmann.
Ein Herforder Amtsrichter und ein Bielefelder Anwalt haben in dieser Woche erreicht, dass der Jugendstrafvollzug in einem neuen Gesetz geregelt werden muss. Kommt der Anstoß ungelegen?Zypries: Nein, im Gegenteil, die Karlsruher Entscheidung hat unsere Position deutlich gestärkt. Der Bund will schon seit langem eine gesetzliche Regelung für den Jugendstrafvollzug, denn nur so lassen sich einheitliche Standards für alle Jugend-Gefängnisse in Deutschland durchsetzen. Nach geltendem Recht ist zwar der Bund für ein solches Gesetz zuständig, allerdings muss der Bundesrat zustimmen. Die Länder haben bislang die Initiativen des Bundes abgelehnt.

Müssen Besuchszeiten, TV-Verbot und andere Disziplinarmaßnahmen wirklich per Gesetz geregelt werden? Zypries: Wann wer wen besucht müssen natürlich die Betreuer vor Ort entscheiden, das kann der Gesetzgeber nicht. Der Gesetzgeber aber kann sehr wohl regeln, wie viel Besuchszeit den Gefangenen grundsätzlich zusteht. Sonst besteht die Gefahr, dass sich eine Anstalt auf Personalmangel beruft und über Wochen oder Monate gar keinen Besuch zulässt. Der Gesetzgeber kann zudem bestimmte Vorgaben machen, damit die Jugendlichen im Vollzug angemessen gefördert und gefordert werden.
Diese jungen Menschen sind meist noch in der Entwicklung und lassen sich leicht beeinflussen - im Negativen, aber eben auch im Positiven. Deshalb haben wir in unserem Gesetzentwurf beispielsweise festgeschrieben, dass für mindestens zwei Drittel der Gefangenen Schul- und Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen müssen. Schließlich müssen wir die Chancen dieser jungen Gefangenen erhöhen, ihr weiteres Leben ohne Straftaten hinzubekommen. Davon profitieren nicht nur die Jugendlichen selbst, sondern die ganze Gesellschaft.

Warum haben die Länder bislang nicht mitgezogen?Zypries: Ein guter Standard in den Strafvollzugsanstalten kostet Geld.

Wenn es tatsächlich die Kosten waren, wer muss künftig zahlen? Zypries: Auch in Zukunft werden die Länder für den Strafvollzug zahlen müssen, daran ändert sich nichts.

Ist das Gesetz bis Ende 2007 zu schaffen?Zypries: Die Frist ist knapp bemessen, daher ist keine Zeit zu verlieren. Im Rahmen der Föderalismusreform wird zurzeit darüber diskutiert, ob die Länder die Gesetzgebungskompetenz für den Vollzug übernehmen, dann müssten sie ein solches Gesetz vorlegen. Ich halte es allerdings für unverantwortlich, jetzt einfach abzuwarten, zu welchem Ergebnis die Föderalismusreform kommt. Deshalb werde ich demnächst für die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen.

Die Weitergabe von Beweismitteln innerhalb der europäischen Union ist nicht selbstverständlich. Warum nicht?Zypries: Das ist so nicht richtig. Beweismittel können innerhalb der Europäischen Union auch heute schon ausgetauscht werden, die entsprechenden Regelungen gibt es schon seit langem. Die Europäische Beweisanordnung, die wir in dieser Woche in Luxemburg diskutiert haben, soll diesen Austausch lediglich erleichtern - beispielsweise durch einheitliche Formblätter.

Warum mussten sie mit ihren Kollegen in Europa über eine Definition der Delikte verhandeln? Sind Terrorismus, Sabotage oder Rassismus nicht in allen Mitgliedsstaaten ein und dasselbe Verbrechen?Zypries: Selbst wenn die genannten Tatbestände in allen Mitgliedstaaten unter demselben Begriff bekannt sind, haben sie nicht zwangsläufig denselben Inhalt und können durchaus variieren. So gibt es in Deutschland beispielsweise den Tatbestand der Sabotage nicht, anders als etwa in Schweden. Nach deutschem Recht sind entsprechende Handlungen in der Regel auch strafbar, dann aber beispielsweise als Sachbeschädigung oder ähnliches.

Artikel vom 03.06.2006