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Fast genauso wie bei Shakespeare

Bukowskis Stück »Nach dem Kuss« bei Ruhrfestspielen erfolgreich

Recklinghausen (dpa). Shakespeare steht im Mittelpunkt der diesjährigen Ruhrfestspiele. Oliver Bukowski travestiert in seinem neuen Stück »Nach dem Kuss« die schönste Liebesgeschichte des großen Elisabethaners: Jule erinnert an Julia, Robbi an Romeo.

Doch spielt Bukowskis »Shakespeare-Schwank« statt im Italien der Renaissance im heutigen Deutschland, und auch nicht an der Spitze der Gesellschaft sondern »ganz unten«. Annette Brauns Bühnenbild für die Uraufführung am Mittwochabend in Recklinghausens Bürgerhaus Süd war äußerst schlicht.
Robbi feiert in einer Kneipe seinen 30. Geburtstag. Jule, ein russisches Mädchen, ist engagiert, ihm ein Ständchen zu bringen. Obwohl Robbi sturzbetrunken ist, trifft ihn, als er Jule erblickt, die Liebe wie ein Blitz. Er lässt Reni, seine bisherige Freundin, im Stich und wirbt um Jule - mit Erfolg. Die schönste Szene zeigt das Paar kurz vor der Umarmung. Bislang sprachen alle ein heruntergekommenes Deutsch, eine an Ödön von Horváth erinnernde Spezialität Bukowskis, die das Elend der Verhältnisse kennzeichnet. Aber im Moment der Begegnung ist das Paar von der Liebe geadelt und spricht in Versen - fast wie bei Shakespeare.
Und wie bei Shakespeare endet das Stück tragisch. Reni greift aus Eifersucht zur Waffe. Unter der unterhaltsam-erotischen Oberfläche liegt eine Beschreibung der Misere. Robbi ist arbeitslos, Jule leidet unter der Missachtung, die Russen in Deutschland erdulden müssen. Die meisten Männer versuchen vor dem Elend zu fliehen - mittels Alkohol. Der Dramatiker gibt nicht nur den gesellschaftlichen Verhältnissen Schuld, er wirft auch Licht auf die Schwächen seiner Figuren.
Obwohl mit dem Theater 89 aus Berlin ein Bukowski-erfahrenes Ensemble spielte, wurde Hans-Joachim Franks Inszenierung doch nicht immer ganz dem anspruchsvollen Volksstück gerecht. Es dauerte zu lange, bis die Aufführung Dynamik gewann. Dann aber ging das Publikum mit und krönte die weithin gelungene Uraufführung mit begeistertem Beifall.

Artikel vom 02.06.2006