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Zehn alte Krücken als Fassadenschmuck

WESTFALEN-BLATT-Serie - Teil 2: Wie aus Scherpels Hof das erste Senner »Kurbad« wurde

Von Annemargret Ohlig
Senne (WB). Die »Karriere« der Gemeinde Senne I als Kurort währte nur kurz - von 1832 bis wahrscheinlich 1869. Aber die Idee des pfiffigen Hof- und Bleichenbesitzers Heinrich Christoph Scherpel, eine Quelle auf seinem umfangreichen Grundbesitz zu nutzen, um ein Heilbad für an Rheuma, Gicht oder Ischias erkrankte Menschen zu schaffen, kam in diesen wenigen Jahrzehnten »bei Vornehm und Gering« erstaunlich gut an.

Das zeigte sich mit großem Aufwand immer wieder zu Pfingsten. Dann eröffnete »Kurdirektor« Scherpel regelmäßig den Badebetrieb seines Heilgartens und Gesundbrunnens mit »Harmonie, Musik und Ball«. Kurgästen stellte er am Nebelstor in Bielefeld sogar Leiterwagen zur Verfügung - »welche von denen mich mit ihrem Besuche Beehrenden zur Hinfahrt nach meinem Kolonate benutzt werden können«, wie es in einer Zeitungsanzeige heißt.
Zwar gehört das Heilbad seit inzwischen knapp 140 Jahren der Vergangenheit an. Der Scherpels Hof Nr. 6 - der Name Scherplo taucht bereits 1304 erstmals urkundlich erwähnt auf - existiert im Ortsteil Windelsbleiche weiterhin, er liegt an der Wilhelmsdorfer Straße 6.
Schon im 18. Jahrhundert soll den Sennern die Heilkraft der nördlich des Scherpelschen Kolonats gelegenen Quelle bekannt gewesen sein. Wegen der geologischen Beschaffenheit ist es zwar nur schwer vorstellbar, dass ohne Tiefenbohrung eine Heilquelle aus dem sandigen Senneboden gesprudelt sein soll. Berichtet wird jedoch, dass Personen, »die mit Rheumatismus, Gicht und Ischias behaftet waren, nach mehrmaligem Baden in dem genannten Wasser Besserung spürten«.
Außerdem habe das Wasser eine weitere Eigentümlichkeit gezeigt: »Mit der Abnahme der Außentemperatur nahm seine Wärme zu, so dass an ein Zufrieren des von der Quelle aus fließenden Bächleins selbst bei stärkstem Frost nicht zu denken war.« Ein solches »Wunder« durfte sich der regsame Heinrich Christoph Scherpel fürwahr nicht entgehen lassen.
Eine Badeanstalt wurde angelegt, die zunächst mit seiner Mühle verbunden wurde. 1832 ließ Scherpel dann in der Nähe (inmitten des heutigen Windelschen Werksgeländes) einen Brunnen mit einem Durchmesser von drei Metern graben. Dessen Wasser wurde durch Kessel auf seiner Bleiche erwärmt und per Röhren weiter geleitet in ein neu errichtetes Badehaus mit zehn Badezimmern und Wannen aus Holz und Stein.
Von Jahr zu Jahr stieg die Zahl der Kurgäste, wie aus einem in den Jahren von 1845 bis 1869 sehr exakt geführten Badebuch handschriftlich hervor geht. Das Original-Buch überließ Windels Senior-Chef Friedrich Meyer-Stork dem Senner Ortsheimatpfleger Hans Schumacher vor etlicher Zeit für das Heimatarchiv.
Damit Wasser-, Schlamm- und Schwefelbäder in ausreichendem Maße bereitet werden konnten, erhielt das »Kurbad« in den vierziger Jahren zudem eine Dampfheizung. Auch die anfangs von Scherpel nebenbei betriebene Gastwirtschaft wurde ausgebaut. 20 bis 25 Kurgäste und Sommerfrischler konnten gleichzeitig angemessen untergebracht werden.
Und so war es nicht erstaunlich, dass Madame Bertelsmann oder die adlige Dame, Frau Majorin v. Malits, aus Bielefeld den Senner Gesundbrunnen genauso gern aufsuchten, wie der Heuerling Piehl aus Dornberg oder Frau Pastorin Schliepstein und zwei Mädchen aus Brackwede. Zumal eine 14-tägige Badekur durchaus erschwinglich er war. So wurde Frau Witte aus Gütersloh, die 1855 in Senne kurte, für zwölf Schlammbäder mit sechs Reichstalern, für 14 Mittagessen mit einem Taler und für die Wohnung mit nochmals einem Taler zur Kasse gebeten.
Die Wirkung des Bades muss bei vielen Kranken verblüffend gewesen sein. »Manche, die auf Krücken oder sogar vollständig gelähmt zu Scherpels Brunnen gekommen waren, kehrten schon nach einmaliger Kur gesund in ihren Wirkungskreis zurück« heißt es in einem älteren Bericht.
Allein zehn zurück gelassene Krücken seien als »Schmuck« an der Badehausfront angebracht gewesen. Des Weiteren hätten ein schwerhöriges reiches Fräulein aus Gütersloh und ein ebensolcher Invalide aus Senne I schon nach einmaliger Kur wieder ein scharfes Gehör erhalten. Aus welchen Gründen das »Heilbad« letztlich geschlossen wurde, weiß man nicht. Bereits 1858 wird das abgebrochene Badehaus versteigert. Als die Scherpelsche Bleiche 1872 in den Besitz von Hermann Windel überging, wurde auch der Brunnen zugeschüttet.
Lesen Sie im nächsten Teil der WESTFALEN-BLATT-Serie am 15. Juni (Fronleichnam), wie aus der ehemaligen Waldschule Senne zunächst eine Lungenheilstätte der Landesversicherungsanstalt Westfalen und dann die heutige Justizvollzugsanstalt wurde.

Artikel vom 03.06.2006