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Richter weisen den Mordvorwurf zurück

Neun tote Babys : Mutter zu 15 Jahren Haft verurteilt

Frankfur/Oder (dpa). Wegen achtfachen Totschlags hat das Landgericht Frankfurt/ Oder gestern die Mutter der neun toten Babys aus Brandenburg zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
Die Angeklagte schwieg im Prozess. Foto: dpa

Das Gericht folgte dem Mordvorwurf der Anklage nicht. Nach Ansicht der zweiten Strafkammer hatte die 40 Jahre alte Frau die acht Kinder, die zwischen 1992 und 1998 geboren worden waren, nicht richtig versorgt. Dies wäre aber ihre Pflicht als Mutter gewesen, erläuterte das Gericht. Die Neugeborenen seien an Unterkühlung gestorben. Die Verteidigung, sie hatte eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren wegen Totschlags in minderschwerem Fall gefordert, sagte, sie wolle das Urteil vom Bundesgerichtshof überprüfen lassen. Die Staatsanwaltschaft, die auf Mord in acht Fällen plädiert hatte, kündigte an, eine Revision »gewissenhaft zu prüfen«. Einer der Fälle in der Todesserie war verjährt.
Die Todesserie gilt in der deutschen Kriminalgeschichte als beispiellos. Die Frau bleibt nach dem Urteil in Haft. Im Prozess hatte sie geschwiegen.
Die Kammer zeigte sich in dem Urteil überzeugt, dass die Babys lebend zur Welt kamen. Es gebe aber keine sicheren Hinweise darauf, dass Tötung durch aktives Tun vorliege. Die 13fache Mutter aus Frankfurt/Oder habe die Leichen in Tücher und Plastiktüten gewickelt und in Gefäßen auf ihrem Balkon vergraben. Die skelettierten Leichen waren im Sommer 2005 auf dem elterlichen Grundstück der Frau bei Aufräumarbeiten entdeckt worden.
Immer wenn die Wehen einsetzten, will sich die Frau betrunken haben. Die gelernte Zahnarzthelferin hatte die Schwangerschaften nach eigenen Aussagen verheimlicht und die neun Kinder ohne fremde Hilfe zur Welt gebracht. Die Frau hat vier lebende Kinder.
Eltern der toten Babys sind die Angeklagte und ihr Ex-Ehemann, ein hauptamtlicher Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit. Der Mann hatte in Vernehmungen vor dem Prozess ausgesagt, von den Schwangerschaften und Geburten nichts gemerkt zu haben.
Einem Gutachten zufolge ist die Angeklagte voll schuldfähig. Ein Sachverständiger schätzte die Frau als »blitzgescheit« mit einem sehr hohen Intelligenzquotienten ein. Als »Nesthäkchen« wuchs sie mit älteren Geschwistern, Neffen und Nichten wohlbehütet in einer Großfamilie auf dem Lande auf. Die Möglichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, ließ sie ungenutzt.
Mit 17 Jahren lernte sie ihren späteren Ehemann kennen. Als 21- Jährige hatte sie drei Kinder. Ihr Mann lehnte weiteren Nachwuchs vehement ab. Sie fürchtete nach eigenem Bekunden, ihren Mann und die großen Kinder zu verlieren, sollte er von einer weiteren Schwangerschaft erfahren.

Artikel vom 02.06.2006