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Dieser Handwerksmeister hat schon 3036 Lehrstellen besorgt

Werner Schnüll (65) ist jeden Tag auf der Jagd nach Ausbildungsplätzen

Von Christian Althoff
Lemgo (WB). Werner Schnüll (65) hat ein kleines Lehrstellenwunder vollbracht: Dem Konditormeister aus Lemgo ist es gelungen, in vier Jahren 3036 Schulabgängern einen Ausbildungsplätze zu besorgen.

Schnüll ist ein Handwerker von altem Schrot und Korn. 70 Lehrlinge hat der Konditormeister in seinem Berufsleben ausgebildet, und von allen hat er Pünktlichkeit, gutes Benehmen und Leistungsbereitschaft gefordert. Der Erfolg blieb nicht aus: »35 haben als Jahrgangsbeste abgeschlossen, sieben wurden Landessieger, drei sogar Bundessieger.«
Als die Gesundheit nicht mehr mitspielte und Schnüll mit 59 Jahren die Backstube für immer verlassen musste, wollte die Kreishandwerkerschaft nicht auf seine Erfahrung verzichten. Schnüll wurde als ABM-Kraft engagiert, um mit Unterstützung der Arbeitsagentur auf Lehrstellensuche zu gehen. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte.
Von einem Kollegen der IHK hatte Schnüll den Rat bekommen, sich im Internet zunächst über die Firmen zu erkundigen, die er aufsuchen wollte. Doch der damals 60-Jährige winkte ab. »Dieser Computerkram - davon hatte ich doch gar keine Ahnung. Ich habe mir eine Liste mit den Namen der lippischen Unternehmen geschnappt und bin losgefahren.« Die erste Firma sei eine Tischlerei gewesen. »Ich erfuhr, dass die nicht ausbilden durfte, weil sie ausschließlich Fenster herstellte.« Doch in der Nähe gab es einen Möbelbaubetrieb, der ebenfalls nicht ausbildete. »Ich habe beide Inhaber an einen Tisch gebracht, und sie haben gemeinsam einen Lehrling eingestellt.« Die erste neue Lehrstelle war geschaffen.
In einem anderen Fall wollte ein Schlosser keinen Auszubildenden haben, weil ihn dessen Abwesenheit während der Berufsschultage störte. »Ich habe zu dem Mann gesagt: Deine Kinder sind neun und zwölf. In ein paar Jahren sind die selbst auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Denk mal darüber nach!« Und bald war das Herz des Firmenchefs erweicht.
Doch trotz großer Erfolge (»Mein bester Monat war der Februar 2003 mit 111 Lehrverträgen«) musste Werner Schnüll auch Rückschläge hinnehmen: »Bei 80 Augenoptikern konnte ich nur einen Lehrvertrag organisieren. Die Kollegen hatten wegen der Gesundheitsreform so massive Umsatzeinbrüche, dass beim besten Willen nichts zu machen war.«
Ein Nein konnte Werner Schnüll allerdings nur schwer akzeptieren. »Ich habe dann immer überlegt, ob es nicht doch noch einen Weg gibt.« Als etwa ein Bäcker die Einstellung eines Auszubildenden mit dem Hinweis ablehnte, er sehe nicht ein, dass der Lehrling in der Berufsschule auch noch Sportunterricht habe, besprach Schnüll mit der Lehrerin, dass im Sportunterricht Rückenschulung gemacht wurde. »Das nutzte auch dem Lehrherrn, und er stellte einen Ausbildenden ein.«
Seinen Erfolg führt der Lemgoer darauf zurück, dass er selbst Handwerker ist: »Die Leute akzeptieren mich, weil ich einer von ihnen bin und ihre Probleme kenne.« So ergab es sich, dass einige Betriebe, die Lehrlinge suchten, irgendwann nicht mehr bei der Arbeitsagentur anriefen, sondern bei Werner Schnüll - wie eine Friseurin, die ein Lehrmädchen brauchte. »Sie bat mich um die Vorauswahl, weil sie meinem Urteil vertraute.« Die erste Bewerberin, die mit schmutzigen Fingernägeln und einer dreckigen Jogginghose vor Schnülls Zweifamilienhaus stand, schickte er gleich wieder fort - aber erst, nachdem er sie zurechtgestaucht hatte. »Warum sollte ich das Mädchen über den Eindruck, den es machte, im Unklaren lassen? Manchmal hilft nur die Wahrheit weiter.« So habe er einer anderen jungen Frau, die schon 60 Bewerbungen an Frisörsalons geschrieben hatte, auf freundliche Weise zu verstehen gegeben, dass sie wegen ihrer enormen Körperfülle in diesem Beruf keine Chance haben werde - trotz ihrer aufgeschlossenen, freundlichen Art. »Ich habe ihr dann einen Ausbildungsplatz als Altenpflegerin besorgt, und heute ist die junge Frau glücklich.«
Schnülls Erfolge sprachen sich im Kreis Lippe herum, und bald wurde er von Schulen eingeladen, um über das Thema Ausbildung zu sprechen. »Die Schüler staunen, wenn ich ihnen erzähle, dass ein Lehrling den Betrieb je nach Branche zwischen 18 000 und 45 000 Euro kostet. Ich sage denen: Statt einen von euch einzustellen, kann sich der Chef auch einen neuen Wagen kaufen. Seid also dankbar für eine Lehrstelle, und vor allem: Macht etwas daraus!«
Auch nach Abschluss eines Lehrvertrages blieb Schnüll Ansprechpartner für die Betriebe. So berichtete ihm der Inhaber einer Autowerkstatt, dass der neue Lehrling sich weigere, Wagen zu waschen und in der Berufsschule einen Lehrer beleidigt habe. »Ich habe mir den jungen Mann vorgeknöpft und gesagt, dass sein schlechtes Verhalten auf mich zurückfällt, weil ich ihm die Stelle besorgt habe, und dass ich das nicht hinnehmen werde. Ich habe ihm den Lehrvertrag vor die Nase gehalten und gedroht, den zu zerreißen, wenn sich sein Benehmen nicht ändern sollte. Von da an lief es wie geschmiert.«
Seit Ende vergangenen Jahres ist Werner Schnüll im Ruhestand. Auf der »Jagd nach Lehrstellen«, wie er es nennt, ist er aber weiterhin - jetzt für den Lemgoer Verein »An die Arbeit«.

Artikel vom 03.06.2006