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Richter üben Kritik am
»Recht des Stärkeren«

Engpass: Autofahrer müssen Rücksicht nehmen

Bielefeld (uko). Ist eine Anliegerstraße wegen geparkter Autos nur einspurig befahrbar, so haben alle entgegenkommende Verkehrsteilnehmer Rücksicht zu nehmen. Wer um jeden Preis auf seinem Recht beharrt, geht leer aus, belehrte gestern das Landgericht einen sturköpfigen Bielefelder.
Die Szene könnte in jeder Fahrschule als abschreckendes Beispiel vorgeführt werden: Die Bielefelder Hartmut S. (69, Namen geändert) und Heinrich K. (52) befuhren am 11. Juni 2005 mit ihren Autos die Straße Am Niederfeld in Hillegossen. Wegen einseitig geparkter Wagen hatte der stadteinwärts steuernde K. eigentlich keine Vorfahrt. Trotzdem fuhr er munter drauflos und ließ dabei mindestens eine Lücke am Fahrbandrand aus, die für seinen Wagen zum Zwischenstopp gereicht hätte.
Von der Detmolder Straße kommend chauffierte Rentner Hartmut S. sein Auto. Obwohl er das entgegenkommende Fahrzeug registrierte, hielt der Mann frontal auf den Personenwagen seines Kontrahenten zu. Dabei sei er vorschriftsmäßig mit Tempo 30 gefahren, bekannte S. gestern vor der 21. Zivilkammer. »Ich habe den Wagen gesehen«, verteidigte sich S., »doch der hätte doch in die Lücke fahren müssen.«
Am Niederfeld kam es tatsächlich zum automobilen »Showdown«, beide Autos knallten frontal aufeinander. Zwar gab es gottlob nur verbeultes Blech, doch auf einem Teil des Sachschadens - den die gegnerische Versicherung nicht hatte tragen wollen - mochte Hartmut S. nicht sitzen bleiben. Er habe immerhin Vorfahrt gehabt, der andere Autofahrer hätte zuvor nachgeben müssen.
Das Amtsgericht Bielefeld gab dieser Rechthaberei weitgehend auch sein Plazet. Eine Betriebsgefahr des Autos des Rentners verneinte die erste Instanz. Mit der Klage des Rentners und der Wiederklage des Beklagten befasste sich nun das Landgericht und sah den Fall etwas anders: Die Klage des Rentners auf Zahlung von weiteren 850 Euro (ein Viertel seines Schadens in Höhe von 3 400 Euro) wurde abgewiesen; die Wiederklage von Heinrich K. auf Zahlung von 450 Euro jedoch hatte Erfolg. Hartmut S. habe »sehenden Auges auf seinem Vorfahrtrecht bestanden«, rügte Vorsitzender Richter Hans-Dieter Dodt.
In diesem Fall wäre jedoch »gegenseitige Rücksichtnahme wichtiger« gewesen. In Engpässen dürfe im Straßenverkehr »nicht das Recht des Stärkeren gelten«.Az. 21 S. 71/06

Artikel vom 01.06.2006