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Verschlossene Türen
nach dem offenen Tor

Deutschland sucht die Defensive-Offensive-Balance

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Leverkusen (WB). Noch acht Tage bis zur WM. Aber es ist immer noch wie vor 50 Tagen. Oder 100. Oder 300. Dabei üben sie. Im Spiel. Im Training. Jetzt scheint die Zeit davon zu rennen, und noch immer haben die Deutschen nicht den richtigen Defensiv-Dreh gefunden.
Treffer und Vorlage: Bastian Schweinsteiger.
Eigentlich fand gar keine ernsthafte Abwehrarbeit statt. Zur Erläuterung des Vorgehens der Nationalmannschaft beim 2:2 gegen Japan dient Fußballern der Begriff des Harakiri. Sinnigerweise war diese Handlungsweise auch gegen den Asienmeister zu sehen. Wer das Wort nachschlägt im Lexikon, findet extrem Schauriges: »Ritueller Selbstmord durch Bauchaufschlitzen.« Da gibt es schon beim Nachlesen eine Gänsehaut, glücklicherweise sind die Folgen auf dem Sportplatz weniger schlimm.
Hier kommt man schon mal mit einem Unentschieden im Testduell gegen die Söhne Nippons davon, die frech aufmuckten und sogar den DFB-Präsidenten in Aufruhr versetzten. »Wir hätten auch vier oder fünf Treffer kriegen können«, klagte erblasst Theo Zwanziger.
Das Tor stand so weit offen, dass der Bundestrainer jetzt die Schotten schließt. »Wir werden intern kritisch diskutieren«, kündigte Jürgen Klinsmann eine Aussprache (und wohl auch Ansprache) an, die die Öffentlichkeit nicht hören soll. Die klaffenden Lücken in der Deckung verstärkt thematisieren zu wollen, deutet darauf hin, dass auch ihm nicht ganz wohl in seiner Haut ist, obwohl er weiter den Gute-Laune-Onkel vorlebt: »Die Mannschaft steckt noch mitten in der Vorbereitung. Sie kann noch nicht auf dem Niveau sein, wie sie es am 9. Juni sein soll. Sonst wäre unser Timing schlecht. Fehler werden sich aber nie vermeiden lassen.«
Davon unterliefen der DFB-Auswahl weit mehr, als es der Rückstand durch Takaharas Doppelschlag (57./65.) vermuten lässt. Die »Harakiri«-Aktion des Abends leistete sich der Leverkusener Lokalmatador Jens Nowotny, der all seine Erfahrung darauf aufwenden wollte, nur wenige Augenblicke nach seiner Einwechslung eine Abseitsfalle zu installieren. Zu dumm, dass man mitunter selbst hineinfällt. Klose (76.) und Schweinsteiger (80.) retteten sozusagen einen Punkt, aber wäre dies ein K.o.-Spiel bei der WM gewesen, hätten sich Deutsche und Japaner in der Verlängerung messen müssen. Das Ende bleibt offen, diese umkämpfte Partie hätte zu beiden Seiten kippen können.
Bei positiver Betrachtungsweise lässt sich das Unentschieden als Sieg der Moral verkaufen. Weil beide Tore aus Freistößen (Schweinsteiger/Schneider) entstanden, könnte sich Deutschland auch für die Standardsituationen auf die Schulter klopfen. Oder dafür, gut unterhalten zu haben. »Wir sind als Gastgeber auch dazu verpflichtet, etwas für die Attraktivität zu tun«, sagte Torhüter Lehmann, der sein Team vor der Niederlage bewahrte, es aber nicht dafür maßregelte, ihn mehrfach zur Aufbietung seines Könnens gezwungen zu haben. Im Gegenteil. »Es war lehrreich, dass wir dieses riskante Spiel zur Not spielen zu können.« Zu bevorzugen wäre es allerdings, es gar nicht erst darauf ankommen zu lassen.
Noch immer wird also an der Balance Defensive - Offensive gebastelt. Wer letztlich den Laden zusammen halten soll, zeichnet sich ab: Klinsmann bevorzugt die »M-Lösung« mit Mertesacker und Metzelder. Nowotnys Bewerbung misslang, Huth könnte gegen Kolumbien am Freitag noch einmal ausprobiert werden. Aber es hilft nichts, es war so, es ist so, es könnte so bleiben: beim Verteidigen haben die Deutschen vor allem dann ihre liebe Mühe und Not, wenn es fix und quirlig wird. Das ist lange bekannt und wurde bis jetzt nicht abgestellt. Dagegen müssen sie erst einmal anstürmen.

Artikel vom 01.06.2006