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Joseph S. Blatter regiert den Fussball-Weltverband

Boss und Buhmann

Dieser Selbstdarsteller spielt jede Rolle. Perfekt. Aalglatt. Bühnenreif. Joseph S. Blatter (70) lächelt charmant alles weg, oder er streitet mit eiskalter Miene alles ab. Den Part als Ball-Buhmann hat der Schweizer längst angenommen. Viel Feind, viel Ehr. Sein schlechtes Image stört ihn nicht mehr.


Blatter regiert den Welt-Fußball-Verband (FIFA) seit 1998 und sieht sich so: »Ich bin ein Weltbürger.« Früher, da war er mal für kurze Zeit Journalist. Jetzt sitzt der Boss aller Bälle auf der anderen Seite des Tisches. Und wie das Leben so spielt: Manche Journalisten, die mag er gar nicht. Vor allem diese hartnäckigen Nachfrager, die wissen wollen, wie denn die nicht immer durchsichtigen FIFA-Geschäfte nun genau laufen, die bügelt er ab: »So, Sie vertreten die Sendung ÝFrontalÜ? Sie gehen auch ganz frontal ran.«
Das ist dann seine Attacke - statt einer Antwort.
Als kürzlich, bei der Pressekonferenz nach Blatters Auftritt in der Universität von Paderborn, aus den hinteren Reihen die Bitte kam: »Ich habe noch eine Fußball-Frage, Herr Präsident« - da setzte er sofort sein sonnigstes Lächeln auf: »Eine Fußball-Frage? Bitte schön.«
Darüber könnte Blatter stundenlang reden. Fußball. Für ihn viel mehr als ein Spiel. Disziplin. Fairness, Respekt. Teamgeist.
Er schleudert diese Schlagworte nur so in den Raum. Von der Wand prallen sie zurück, Blatter fängt sie wieder auf, serviert den nächsten Steilpass: »Man lernt gewinnen, das ist nicht schwer. Aber lernt auch verlieren. Und das ist nicht so leicht.«
Hätten Sie das gewusst?
Dem Schweizer können diese Erkenntnisse nur bei einem Fußballspiel gekommen sein. Wahrscheinlich war es eine Flutlichtpartie. Der Kick beim Kick. Erleuchtung unter strahlenden Lampen. Denn inzwischen steht für Blatter fest: »Fußball ist Hoffnung. Fußball ist eine Lebens-Schule. Fußball kann uns alle zu besseren Menschen machen.«
Welche Einsichten. Welche Aussichten. Und nur ehrenwerte Absichten? Für einen Moment muss man glauben: Vielleicht liebt der den Fußball ja wirklich. Die Tore. Die Pfostenschüsse. Die Verlängerungen. Die Elfmeter. Die Rasen-Dramen.
Er scheint ein großes Herz zu haben, dieser Joseph S. Blatter. Rhythmus-Störungen sind da nicht sofort zu erkennen, wenn er von »seinem« Fußball schwärmt. Der hat neben Spielen, Siegen und Niederlagen für ihn noch einen anderen, viel höheren Stellenwert.
Der Präsident nennt es »die soziale Verantwortung«. Und Blatter blättert nur zu gern in den goldenen Büchern, in denen die tollen Taten der FIFA festgehalten werden. SOS-Kinderdörfer, Unicef-Hilfe und UN-Programme. Für Afrika wird ein Sonderprojekt gestartet. Blatters Blick auf diesen armen Erdteil: »Seit mehr als hundert Jahren von den Kolonial-Mächten ausgeraubt und ausgeplündert - zuletzt auch von den europäischen Fußball-Vereinen.«
Da spielt die FIFA nicht mehr mit. Stopp. Rote Karte. Stattdessen kommt »Kohle«. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann würde die WM 2006 schon in Südafrika angepfiffen, und nicht in Deutschland. Hier wurde der Ober-Taktiker aber leider überstimmt oder ausgetrickst, deshalb fühlt er sich Afrika gegenüber jetzt besonders in der Pflicht: »Wir werden sehr viel für diese Regionen da unten tun.«
Blatter, der gute Mensch aus dem Unterwallis? Er ist übrigens vor kurzem wieder in seinen Heimatort Visp gezogen. Natürlich nicht, weil da die Steuersätze niedriger sind. Nein, selbstverständlich nur, weil da die Luft einfach so gut sein soll.
Dass es in der FIFA-Zentrale stinkt, streitet Blatter ab. Überall. Immer wieder. Rigorose Vermarktung? Nicht mit uns. Oder sogar Geschäfte, die an Erpressung grenzen? Auf keinen Fall. Er spielt den Saubermann und sagt: »Wir sind keine reiche Organisation, wir zahlen in der Schweiz ordnungsgemäß Steuern. Außerdem: 70 Prozent unserer Einnahmen fließen an den Fußball zurück.«
Deshalb: Warum immer wieder diese lästigen Fragen nach dem Geld, nach den Grenzen der Kommerzialisierung? Blatter kann sie nicht mehr hören, und antwortet stets im gleichen Stil: viele Worte, wenig Substanz. Was kann er dafür, dass diese Kritiker in Sachen Wirtschaft nichts, aber auch gar nichts kapiert haben? Er ist schließlich diplomierter Handels- und Volkswirt. Die Kasse muss stimmen. Auch bei der FIFA.
Deshalb nennt er Sponsoren nicht Sponsoren, sondern »Economy-Partner«. Das ist zwar das gleiche, hört sich aber vornehmer an. Und selbstverständlich genießen diese großzügigen Gönner Exclusiv-Rechte. Blatters Meinung: »Anders geht das nicht.« Dann folgt die Mahnung an die Deutschen: Nein, ihm hat es gar nicht gefallen, dass der Bundesgerichtshof vor Wochen die Rechte mit dem Titel »WM 2006« erweiterte. Wenn er daran zurück denkt, wird er richtig wütend, der vorher noch lächelnde Schweizer, jetzt droht er sogar: »Für weitere Bewerbungen internationaler Veranstaltungen war das sicher nicht günstig.«
Im Klartext: Passt auf, ihr unartigen Deutschen, wenn ihr da nicht mehr richtig mitmischt und mitmauschelt, dann seid ihr nur noch Zuschauer.
Jetzt dürfen sie aber erst einmal stolzer Gastgeber sein. Die Weltmeisterschaft wird am 9. Juni eröffnet. Selbstverständlich steht auch Blatter dann im Blickpunkt - und nicht im Schatten des »Kaisers«. Es hatte zwischen den hohen Herren einen kleinen Krach gegeben. Blatter oder Franz Beckenbauer? Wer darf reden? Wer muss schweigen?
Jetzt sind sie an diesem 9. Juni beide still, Bundespräsident Horst Köhler wird die Anstoß-Formel sprechen. Aber vorher musste Blatter doch noch den Mund aufmachen und diese Spitze gegen »meinen Freund Franz« loswerden. Der Schweizer servierte sie raffiniert versteckt in ein Lob für den OK-Vize Horst R. Schmidt: »Der macht die meiste Arbeit. Das ist eine richtige Fleißbiene.« Und Beckenbauer? »Ach, der Franz, der spielt am liebsten den Überbringer der guten Nachrichten.«
Alle lachen sie im Audimax der Universität in Paderborn. Blatter grinst mit. Ein mit Kritik garniertes Kompliment. Ein Satz, der sitzt, der hat auch ihm gut gefallen. Wirklich witzig.
Spott oder Spaß, harte Worte oder weiche Welle, klare Ansagen oder windige Ausreden, Blatter ist ein Mann für jede Tonart. Darum, genau darum, sitzt er da oben. Auf dem Fußball-Thron. Soll der Beckenbauer doch ruhig der »Kaiser« sein. Er ist mehr. Viel, viel mehr: ein ungekrönter König im weltweiten Kicker-Reich. Und an die freiwillige Abdankung denkt er keine Sekunde, denn: »Meine Aufgabe ist noch nicht beendet.«
So reden Herrscher. So denken Mächtige. Wir? Wir sind unersetzlich. Einmalig. Einer wie Joseph S. Blatter zählt sich dazu. Wie lange noch? Das steht auf einem anderen Blatt.

Ein Beitrag von
Klaus Lükewille

Artikel vom 02.06.2006