01.06.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Doku-Drama
ohne Happy-end

11. September als Spielfilm

Bis zum Schluss hofft man wider alle Vernunft, dass »Flug 93« noch gut ausgeht. Dass die Passagiere der gekidnappten »United«-Maschine die Al-Kaida-Terroristen im Cockpit überwältigen. Dass sie im wahrsten Sinne des Wortes das Steuer herumreißen und das Flugzeug mit den 40 Menschen an Bord sicher auf einem Feld in Pennsylvania landen.

Dramatische Geigenmusik, Ende. Aber »Flug 93« ist kein Popcorn-Movie, auch wenn es der erste Hollywood-Film ist, der den 11. September 2001 thematisiert. Der britische Regisseur Paul Greengrass erzählt die »glaubhafte Wahrheit« des Tages als Doku-Drama, und da gibt es kein Happy-end. Heute startet »Flug 93« in den deutschen Kinos.
Das Nervenaufreibendste bei dem Film ist der unbekümmerte Anfang: Ein strahlend schöner Septembertag auf dem Flughafen Newark bei New York, freundlicher Smalltalk, Einchecken, Durchsagen, ein letzter Handy-Anruf, naive Routine. »Wir haben leider 30 Minuten Verspätung und bitten um ihre Geduld«, sagt der Kapitän noch. Eine junge Frau kuschelt sich in ihren Sitz und holt Schlaf nach. Aber der Terror ist bereits an Bord. Eine halbe Stunde nach Abflug stürmen die vier Entführer das Cockpit, ermorden die beiden Piloten und steuern das Flugzeug auf Washington zu.
Keiner weiß, was an Bord der »United«-Maschine mit der Flugnummer 93 - der einzigen der vier entführten Flugzeuge, die ihr Ziel verfehlte und in ein Feld in Pennsylvania krachte - wirklich passiert ist. Fest steht, dass die Passagiere durch Telefonanrufe ahnten, was mit ihnen geschehen sollte und sich zur Wehr setzten. Filmemacher Paul Greengrass (»The Bourne Supremacy«) konstruierte sein Drehbuch aus dem Untersuchungsbericht der »9/11«-Kommission und aus Interviews mit mehr als 100 Hinterbliebenen. Sehr subtil zeichnet er nach, wie ganz normale Menschen in einer Extremsituation über sich hinauswachsen. Den üblichen Rambo-Patriotismus schenkt er sich. Keiner wird als Held gefeiert oder herausgestellt - und gerade deshalb achtet man die Zivilcourage besonders hoch.
Hollywoodstars sind übrigens nicht zu sehen; für die entsprechenden Rollen wurden echte Stewardessen und Piloten besetzt. Einige der Fluglotsen im Film sind genau die, die auch am 11. September 2001 Dienst hatten. Ben Sliney, der Chef der Bundesflugbehörde Federal Aviation Administration (FAA), der just an dem schicksalhaften Tag seinen neuen Job antrat, spielt sich sogar selbst. Die Schauspieler, die die Passagiere darstellen, haben sich Anregungen von den Hinterbliebenen geholt. Die waren fast alle mit dem Projekt einverstanden und haben die Dreharbeiten begleitet.

Artikel vom 01.06.2006