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Konventionelles Asyl-Drama

Sören Senns Debütfilm »KussKuss« wurde bereits preisgekrönt


»Dein Herz verkraftet mehr als du denkst, es ist nur ein Muskel.« Diese Aussage ist charakteristisch für Katja, eine junge Medizinerin, die pragmatisch an die Dinge herangeht. Als sie aus Versehen eine Algerierin, die illegal in ihrer Klinik arbeitet, fast der Polizei ausliefert, versteckt sie die Frau kurzerhand bei sich zu Hause. Ihren Freund, mit dem sie sich die Wohnung teilt, stellt sie ohne große Worte vor vollendete Tatsachen.
»Kusskuss«, der Debütfilm des Schweizers Sören Senn, beginnt als Sozialdrama, entpuppt sich aber schnell als Beziehungsstudie: Dass Saïda (geheimnisvoll: Saïda Jawad) eine »Illegale« ist, bildet nur die Rahmenhandlung. Senn richtet das Hauptaugenmerk vielmehr auf die Auswirkungen von Saïdas Eindringen in die eingespielte Zweisamkeit von Katja (Carina Wiese) und Hendrik (Axel Schrick).
Durch die plötzliche Anwesenheit der Algerierin, die kaum Deutsch spricht, bricht ein lange schwelendes Problem in der Partnerschaft der beiden auf: fehlende Verständigung. Weil Katja beruflich ständig auf Achse ist, reden sie und Hendrik ohnehin nicht viel miteinander, und wenn doch, dann meist aneinander vorbei.
Hendrik hat zunächst wenig Verständnis dafür, dass seine Freundin die fremde Saïda mitbringt. Er fühlt sich gestört, weil er zu Hause an einer wissenschaftlichen Arbeit schreibt, mit der er sich bereits seit Monaten herumquält. Für Katja wird es dagegen geradezu zur Besessenheit, der - nach ihrer Meinung - hilflosen Saïda beizustehen.
Dabei zeigt sie allerdings wenig Gespür für die tatsächlichen Befindlichkeiten ihrer Mitmenschen. So entgeht ihr auch, dass sich Hendrik und Saïda allmählich näher kommen. Just nachdem sie eine Affäre begonnen haben, drängt Katja die beiden zu einer Scheinheirat, damit Saïda eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt.
Die Tragikomödie »KussKuss« wurde mit mehreren Preisen bedacht. Tatsächlich nähert sie sich der Asylproblematik von einer erfreulich unkonventionellen Seite. Saïda wird nicht einseitig als armes Opfer dargestellt, sondern auch als Frau, die eigene Lebensvorstellungen entwickelt und diese selbstbewusst und durchaus streitbar verfolgt.

Artikel vom 01.06.2006