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»Der Chip im Ball wird kommen«

Ex-FIFA-Schiedsrichter Urs Meier spielt als ZDF-Experte seine Erfahrung aus


Von Sören Voss (Text und Foto)
Halle (WB). Jahrelang tanzten die Fußball-Stars wie Ronaldinho, Beckham oder Ballack nach seiner Pfeife. Mittlerweile hat Urs Meier seinen Schiedsrichter-Dress an den Nagel gehängt - ein gefragter Mann ist er dennoch.
Der 47-jährige Schweizer coacht Nachwuchsreferees, hält Vorträge (wie jetzt als Gast der Kreissparkasse Halle), vertreibt als Unternehmer Haushaltsgeräte und ist bei der WM in Deutschland fürs ZDF als Experte am Ball. »Eigentlich müsste man bei allen Spielen im Stadion sein, um die Szenen beurteilen zu können. Fernsehbilder verzerren Absicht und Geschwindigkeit, sind manipulierbar.« Meier glaubt nicht, dass sich der Videobeweis bei strittigen Szenen durchsetzt. »Der Chip im Ball wird aber kommen, wenn das System technisch ausgereift ist. Besonders bei Distanzschüssen stehen Schiris und Assistenten naturgemäß zu weit von der Torlinie entfernt. Der Chip sagt dann klar: Tor oder nicht.«
Was strittige Pfiffe auslösen können, musste Meier leidvoll am eigenen Leib erfahren. Nach dem nicht gegebenen Treffer für England im EM-Halbfinale 2004 gegen Portugal wurde sein elektronisches Postfach an einem Tag mit 16 000 E-Mails bombardiert. Wüste Beschimpfungen und Morddrohungen inklusive - obwohl Fernsehbilder Meiers Entscheidung bestätigten.
Gerade, als der Schweizer zu den renommiertesten Unparteiischen der Welt aufgestiegen war, zwang die Altersgrenze ihn nach 883 Spielen im September 2004 zum Aufhören. »Als die Limits eingeführt wurden, hatten die Schiris konditionelle Defizite. Doch das ist lange nicht mehr so«, bedauert Meier. Für ihn ist die Altersguillotine ein Vorwand der Verbände: »Es ist eben leichter, einem Markus Merk im nächsten Jahr zu sagen ÝDu bist jetzt 45Ü, als ÝDeine Leistungen reichen nicht mehr ausÜ.«
Dank seines Fernsehjobs wird Urs Meier die Weltmeisterschaft dennoch hautnah verfolgen. Wer kommt ins Finale? »Bei den Schiedsrichtern hat Merk gute Chancen, wenn Deutschland früh ausscheidet. Bei den Mannschaften setze ich auf Italien, Deutschland oder Holland. Aber Geld würde ich nicht drauf setzen. Anders als bei meinen Entscheidungen auf dem Platz habe ich mit Tipps zu oft daneben gelegen.«

Artikel vom 31.05.2006