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Brunetti gerät in
die hohe Politik

Donna Leons neuer Venedig-Krimi

Von Frauke Kaberka
Zürich (dpa). Was für ein Sumpf. Ein Schwarzafrikaner wird in Venedig brutal ermordet, und keiner will etwas darüber wissen. Leicht hat die amerikanische Schriftstellerin Donna Leon ihrem Commissario Brunetti die Aufklärung von Kriminalfällen ja noch nie gemacht.

Aber dieses Mal ist alles noch komplizierter, undurchschaubarer und von höchster Stelle tabuisiert.
Sein 14. Fall führt den charismatischen Polizisten in eine Zwangslage. Zwar hat er Verbote seines Vorgesetzten schon immer gern ignoriert und unauffällig, aber hartnäckig seine Spuren weiter verfolgt. Nun aber ist hohe Politik im Spiel, und Brunetti droht zwischen die Räder verschiedener Ministerien zu geraten. Und es steht zu befürchten, dass auch die Mafia ihre Hände im Spiel hat.
»Blutige Steine« heißt das neue Werk von Leon, das wie alle ihre Brunetti-Romane in Venedig spielt. Die vertraute Atmosphäre aber kommt anders als sonst herüber: Es fehlt fast durchweg die Heiterkeit. Und daran sind nicht nur Kälte und Regen Schuld, die dieses Mal die ohnehin immer etwas morbid anmutende Lagunenstadt außergewöhnlich trist erscheinen lassen. Menschliche Kälte, Gleichgültigkeit und Rassismus sind der Bodensatz, in dem Brunetti stecken zu bleiben droht, Korruption, Verflechtung von Politik und Kriminalität der Nährboden für globale Verbrechen.
Die Stimmung des Commissario schwankt zwischen Resignation und ohnmächtiger Wut, und sie überträgt sich zeitweise auch auf den Leser, bei dem sich die Gewissheit festsetzt: Das alles sind keine Hirngespinste, sondern durchaus mögliche Szenarien, die Donna Leon einmal mehr überaus spannend zu Papier bringt. Wie immer spart die Autorin nicht mit Seitenhieben auf die sprichwörtlichen italienischen Unzulänglichkeiten, ohne die sie, wie sie einmal sagte, nicht leben möchte und die das thematisch an sich recht schwermütige Buch mit einem ungewöhnlichen Ende wieder zu einem Lesevergnügen machen. Donna-Leon-Freunde müssen außer auf diese Nadelstiche natürlich auch nicht auf die familiären Wortgefechte im Hause Brunetti und die verschworenen Helfer des Polizisten in seiner Dienststelle, der Questura, verzichten.
Donna Leon: Blutige Steine, Diogenes Verlag, Zürich 365 S., 19,90 Euro, ISBN 978-3-257-06523-7

Artikel vom 30.05.2006