30.05.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Jüngstes Opfer
soll erst acht
gewesen sein

Neue Anklage gegen falschen Lehrer

Von Christian Althoff
Detmold (WB). Dem falschen Lehrer Michael N. (46) aus Lemgo sind vier Pflegekinder anvertraut worden, obwohl er sieben Mal vorbestraft war. »Der Datenschutz hat verhindert, dass das Bielefelder Jugendamt von den Strafen erfuhr«, erklärte Opferanwältin Heike Klockemann gestern in Detmold, wo der Tischler wegen Kindesmissbrauchs vor Gericht steht.

Zu Beginn des fünften Verhandlungstages hatte Staatsanwältin Christa Brinkforth eine weitere Anklage gegen den Handwerker verlesen, der sich mit einem gefälschten Universitätszeugnis als Pädagoge ausgegeben hatte und so an die Pflegekinder aus Bielefeld gekommen war. War es bisher vor allem um leichtere Missbrauchstaten gegangen, so wirft die neue Anklage dem 46-Jährigen vor, die Tochter seiner Lebensgefährtin im Alter von acht Jahren entjungfert zu haben. »In den folgenden Jahren ist es dann zu 13 weiteren Beischlafhandlungen gekommen«, sagte die Staatsanwältin. Diese Vorwürfe waren erst während des Prozesses von dem heute 16-jährigen Mädchen erhoben worden. Ein Glaubwürdigkeitsgutachten hatte der Zeugin bescheinigt, die Wahrheit gesagt zu haben.
Zum ersten Mal seit Prozessbeginn brach der Angeklagte gestern sein Schweigen. »Glauben Sie den Mist, den Sie da erzählen?«, herrschte er die Staatsanwältin an und schimpfte, das Glaubwürdigkeitsgutachten sei »das Papier nicht wert auf dem es steht«. Er sei unschuldig, beteuerte Michael N.
Der Tischler ist seit 1992 sieben Mal verurteilt worden, vor allem wegen Betruges, Amtsanmaßung und Urkundenfälschung. »Dabei ging es zumeist darum, dass er sich Zugang zu Kindern verschaffen wollte«, sagte Anwältin Klockemann, die mehrere der mutmaßlich missbrauchten Kinder vertritt. So hatte Michael N. Ende der 90er Jahre in Herford einer Asylbewerberfamilie ein von ihm gefälschtes Schreiben des Herforder Jugendamtes vorgelegt. In dem (falschen) Brief regte die Behörde an, die Flüchtlingsfamilie solle ihre Tochter über die Wochenenden zu Michael N. nach Lemgo geben - was diese auch tat. Bis heute ist ungeklärt, was an den Wochenenden geschah.
Auf dem Papier hatte Michael N. jedoch eine weiße Weste: In dem polizeilichen Führungszeugnis, das der Tischler dem Jugendamt Bielefeld und der Arbeiterwohlfahrt (sie war für die Vermittlung der Pflegekinder zuständig) vorlegte, war keine der Vorstrafen aufgeführt - entweder, weil die jeweiligen Strafen unter drei Monaten lagen und deshalb nicht eingetragen wurden, oder weil die Verurteilungen schon wieder aus dem Register gelöscht waren. Zugriff auf einen Strafregisterauszug, in dem alle Verfehlungen für immer aufgeführt bleiben, haben nur die Ermittlungsbehörden - aus Datenschutzgründen. »Hier sollte im Interesse der Pflegekinder über eine Gesetzesänderung nachgedacht werden«, sagte eine AWO-Mitarbeiterin am Rande des Prozesses.
Die Verhandlung wird am 14. Juni fortgesetzt - möglicherweise bereits mit den Plädoyers.

Artikel vom 30.05.2006